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: Eheszenen & Bettschwindeleien

■ Lieben auf der Landstraße, verkennen und erkennen: Taschenbücher über das Heiraten

„Die Ehe“, schrieb Max Frisch, „ist ein Sarg für die Liebe.“ Nicht nur ständig wachsende Scheidungsraten scheinen diesen Satz zu belegen. Auch der Blick in die ausufernde Masse belletristischer Zeugnisse über Liebe und Heirat kommt zu dem Ergebnis, daß bei diesem Thema eher Leid als Lust literarisches Ereignis wird. In zwei neuen Anthologien, „Warum heiraten?“ sowie „Jung gefreit, tief gereut“, findet sich kein einziger Text, den man als uneingeschränkte Apologie des Heiratens oder wenigstens als Plädoyer für eine sogenannte „glücklichen Ehe“ verstehen könnte. Die Tonlagen schwanken zwischen Zynismus und Ironie, was offensichtlich daran liegt, daß jede Ehe früher oder später mit den romantischen Liebesvorstellungen kollidiert.

Sören Kierkegaard hat das Dilemma auf einen Nenner gebracht, als er notierte: „Heirate, und du wirst es bereuen. Heirate nicht, und du bereust es auch.“ Mit dem „Tagebuch des Verführers“ lieferte der dänische Philosoph eine subtile Studie über den Widerspruch zwischen Liebe und Ehe, der sich zu einem Konflikt zwischen Ästhetik und Ethik ausweitet. „Wenn man liebt, dann geht man nicht auf der Landstraße. Nur die Ehe ist auf der breiten Hauptstraße zu finden.“

In einer Ehe müssen die Jahre halten, was glückliche Momente versprachen. In Sigrid Damms „Ich bin nicht Ottilie“ wird die Liebe einmal als „die Zeit freiwilligen Verkennens“ bezeichnet, der unweigerlich die sehr viel längere Zeit unfreiwilligen Erkennens folgt. Der Titel „Ich bin nicht Ottilie“ ist natürlich eine Anspielung auf den berühmtesten Ehebruch der deutschen Literatur, der weder de facto noch de jure einer war: In Goethes „Wahlverwandtschaften“ zeugt ein Ehepaar einen Sohn, wobei der Mann sich der Phantasie hingibt, nicht mit seiner Frau, sondern mit der unerreichbaren Geliebten Ottilie zu schlafen. Dieser Bettschwindel fand in diversen Spielarten in der Kulturgeschichte seine Entsprechung, der die amerikanische Religionswissenschaftlerin Wendy Doniger in ihrer Studie „Der Mann, der mit seiner eigenen Frau Ehebruch beging“ nachgeht. Daß der Bettschwindel immer wieder gelingt, deutet nach Doniger darauf hin, „daß die individuelle Identität, die unwandelbare Substanz, die jede und jeden von uns zu dem machen, was wir unzerstörbar sind, eine Illusion ist.“

Von solchen und ähnlichen Bettschwindeleien handeln auch die Erzählungen der englischen Autorin Anne Enright, die jetzt unter dem Titel „Die tragbare Jungfrau“ als deutsche Erstveröffentlichung erschienen sind. Zum Eheglück gehört das traute Heim. Dumm nur, wenn die Ehefrau sich in den Architekten verliebt, der das lebenslängliche Liebesnest errichten soll. Und auch der ziemlich peinlichen Frage, warum sich verheiratete Paare mit anderen verheirateten Paaren zum Gruppensex zusammenrotten, gehen diese sarkastischen Stories nach.

John Bergers Roman „Auf dem Weg zur Hochzeit“ zelebriert auf unfeierliche und deshalb sehr anrührende Weise das Zustandekommen einer italienischen Ehe, die allerdings nicht von Dauer sein wird, da die Braut an Aids erkrankt ist. Bergers Neo-Impressionismus geht es um die innere Dauer der vergänglichen Glücksmomente. „Sie werden an der großen Tafel Seite an Seite sitzen, umgeben von dreißig Menschen, und sie wird alles bemerken, was geschieht. Nichts wird ihr entgehen. Hochzeitsfeste sind die glücklichsten, weil etwas Neues beginnt (...). Und dann wird sie lachen. Ein Lachen, das aus einer anderen Zeit kommt und aus einer Sprache, die verlorengegangen ist.“ Aus einer Zeit nämlich, in der Ehen noch hielten, was sie versprachen, und aus einer Sprache der Liebe, die es vielleicht nur in der Literatur gegeben hat. Klaus Modick ‚/B‘Regula Venske (Hg.): „Warum heiraten?“ Piper, 14,90 DM Anne Enderlein (Hg.): „Jung gefreit, tief gereut“. Ullstein, 14,90 DM Sören Kierkegaard: „Tagebuch des Verführers“. btb, 14,- DM Sigrid Damm: „Ich bin nicht Ottilie.“ Suhrkamp, 19,80 DM Wendy Doniger: „Der Mann, der mit seiner eigenen Frau Ehebruch beging“. Suhrkamp, 16,80 DM John Berger: „Auf dem Weg zur Hochzeit“. Fischer, 16,90 DM Anne Enright: „Die tragbare Jungfrau“. Fischer, 16,90 DM