Sich weiter bis an die Elbe fressen

Kinderzimmerproduktion und Wünsche: Das St.-Pauli-Projekt „Park Fiction“ von Christoph Schäfer dokumentiert im Wienerkunstverein mit Lo-Fi-Kunst, wie ganz St. Pauli um Erdbeerbaumhäuser und etwas Abstandsgrün zum schnöden Alltag kämpft  ■   Von Jochen Becker

Während am Wiener Autobahnring das Gewerbe boomt, ist der innerstädtische Leerstand kaum zu übersehen. „Geschäftslokal zu vermieten/CPB Immobiliengesellschaft der Constantia Privatbank/Tel. 5 12 76 90“, verkündet ein Plakat im Schaufenster. Darunter liegen Kunstbroschüren aus, nebenan hängt eine Regenjakke mit dem Park-Fiction-Logo.

Das temporär vollgepackte Ladenlokal, unweit von Stephansdom und Fußgängerzone, ist zur Zeit mietfreier Schauplatz des mobilen Wienerkunstvereins und stellt ein Kunst- und Stadtentwicklungsvorhaben aus St. Pauli aus. Wie das Quartier ist die Ausstellung mit Zetteln, Modellen und Postern gespickt, die vom Kulturkampf um einen Park berichten, der mehr sein soll als etwas Abstandsgrün vom schnöden Alltag.

„Park Fiction von Christoph Schäfer“ heißt die Präsentation und gibt zugleich dem Stadtteilprojekt einen Künstlernamen. Je nach Positionierung oder Nennung der MitstreiterInnen ist der umkämpfte und weiterhin fiktive Park am Hafenrand eine Stadtteilinitiative, eine politische Intervention, ein Kunstprojekt mit langem Atem, eine Bastelgruppe oder die Anleitung zum Do-it-yourself.

Bis 1981 lassen sich die Initiativen um etwas mehr Grün in Hamburgs hochverdichtetem Quartier zwischen Reeperbahn und Elbe zurückverfolgen. Hafenstraßenkämpfe und Bürgerinis halten das Quartier auf Trab. Seit Herbst 1995 betreibt Christoph Schäfer zusammen mit Cathy Skene „Park Fiction“, das städtischerseits mit 125.000 Mark als Kunstprojekt im öffentlichen Raum gefördert wird. Daraus entwickelte sich wiederum Margit Czenkis einstündiger Film „Die Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Straße gehen“ (taz, 25. 3. 99) als eine neohippiesk-beeindruckende Einführung zu „Park Fiction“.

„Fassen wir zusammen: Der Garten ist ein dreidimensionales Bild, er wird aus der Kunst heraus entwickelt und setzt der Funktionalität der Stadt eine zweckfreie, amoralische Welt des freien Spiels, des Nichtstuns, der Schönheit und des Glücks entgegen.“ Kommt man in den Wiener Laden hinein, breitet sich unter Knetbürotischen des Kinderhauses am Pinnasberg eine Parklandschaft aus Styropor zwischen Bäumen, Kirche und der Szenelokalität „Golden Pudel Club“ aus. Darüber schwebt ein kupferfarbenes Spaceshuttle. Im Fenster liegt ein „Actionkit“ ausgebreitet. Im Notfallkoffer finden sich Polaroidkamera und Walkman, Malstifte und ein ausklappbares Hafenpanorama. Die Wunschproduktion der AnwohnerInnen artikulieren sich auf DIN A 3: Gezeichnete Buntstiftnotate von Tempo-30-Zonen, Grillplätze, Blumenbeete oder ein Haus für den Parkmeister reproduzieren die Angebote öffentlicher Grünraumversorgung. Free Zones, Matsch und Sand, zuviel Sport ist Mord, der Hundescheißeauffangroboter oder ein Erdbeerbaumhaus weisen darüber hinaus. Zudem sollte es Postfächer für Kinder geben, so daß die Eltern nicht mehr herumschnüffeln können. Ein Seeräuberinnenbrunnen leuchtet verführerisch, Palmen lassen sich auf Rollen herumschieben, und eine Rutsche führt hinunter zum Elbstrand direkt in den dann sauberen Fluß.

Vor allem ist „Park Fiction“ Medienschaffen, Bewußtseinsproduktion, Verbindungsarbeit und Symbolpolitik. Ein Elbabhang voller aufgepflockter Wunschplakate, als Skizze festgehalten, beschreibt eine der zahlreichen öffentlichen Aktionen auf dem Gelände. Zumeist geht der Griff dabei zu Bastelmaterial, Laptop oder Handycam. „Park or Trouble“ steht groß auf einem Kleid, ebenfalls auf Papier werden Plastersteine gelockert – ob zum Wurf oder zur anschließenden Begrünung, läßt sich hierbei nicht ausmachen. „Stadtplanung selbst in die Hand nehmen“ heißt die Parole.

Noch kennt „Park Fiction“ keine B-Pläne, CAD-Grafiken oder Anhörungsverfahren. Vielmehr ist dem Projekt ein Neo- und Retro-Hippie-Gebaren eingeschrieben. Man weiß ums Scheitern und ist zugleich pragmatisch. Eine Weihnachtskette wird fürs blinkende Bauschild umgenutzt, und auf dem Treppenpfosten des Wiener Ausstellungsraums steht das Pappmodell des Planungscontainers, der auch schon mal als Tanzpodest bei Open-air-Raves gebraucht wird. „Senator Mirow kommt!“-Plakate oder Filmankündigungen zur „Naziplanung am Hafenrand“ geben Auskunft über die vielfältigen Park-Aktivitäten: Hier wurden vor den letzten Europawahlen Hunderte Stimmzettel an Nichtwahlberechtigte umverteilt. Im Schatten der „tätowierten Häuser“ der vormals umstrittenen Hafenstraße mischt sich Häuserkampfgeschichte mit Multikulti-Folklore und Spielstraßencharme mit dem Glamour des Kunst- und Popbetriebs zur Kiezkampagne. Rem Koolhaas und seine Hymne auf das Delirious New York der elektrifizierten Luna Parks, Dan Grahams Künstlervideo „Rock my Religion“, Jörg Immendorfs Agit-Pop sowie Comix und andere Kinderzimmerproduktionen geben dabei den stilistischen Ton vor.

Weitere Vorbilder sind die US-amerikanischen Guerilla Gardens, das Greening of Harlem oder die Verteidigung der Obdachlosen-Zeltstadt auf dem Thompkins Square von Manhattan. Auf den Stufen des Ausstellungsraums liegen Fotomappen über den vorbildlichen People's Park in Berkeley, wo sich in den bewegten Sixties Antivietnamkomitees, Yippies und Black Panthers gegen Senator Reagan zusammenschlossen. Der umkämpfte Park vermeidet Gartenstadt- und Reformhausidylle, sondern sucht nach Möglichkeiten für ein stetig neu umzubauendes Feld, das sich ja auch noch weiterfressen könnte.

„Die größte zusammenhängende Grünfläche ist der Fußballrasen am Millerntor“, witzelt eine Park-Broschüre. In den zwanziger Jahren sollte Altonas Elbsteilufer durch geschickte städtische Aufkaufpolitik für alle zugänglich gemacht werden. So schenkte die Familie Warburg einen römischen Garten. Derzeit geht die Stadt Hamburg den umgekehrten Weg und reökonomisiert die Waterfront: „Geschlossene Hafenrandbebauung: privatisierter Blick, sozialisierter Schatten“ kennzeichnet eine Doppelseite in der Broschüre „100 % Park für St. Pauli-Süd“ diese neoliberale Politik. In der Broschüre wird weiterhin „Freie Sicht auf die Produktionsbedingungen!“ gefordert. Das gegenüberliegende Dock von Blohm + Voss, das heroische Hafengeburtstagsgemälde längst wieder abgewaschen, ist in den Skizzen omnipräsent.

St. Pauli selbst ist mit Reeperbahn, „Cats“-Musical und nahe gelegenen Dom-Rummelplatz der regionale Fun-Park und hat trotz hergebrachter Freizeitindustrie dreimal mehr Besucher als Euro-Disney Paris – mit all den Folgen für die Wohnbevölkerung. Europas wohlhabendste Stadt ist zugleich Deutschlands ökonomisch gespaltenste Stadt: Während wenige Kilometer flußabwärts die Villen der Superreichen liegen, sind Armut und Krankheit in St. Pauli zu Hause. Bei der jüngsten Besetzung der Station D im Hafenkrankenhaus oder dem Protest gegen die drohende Schließung der Astra-Billigbier-Brauerei ging es nicht allein um Nahversorgung und Jobs: Durch die Aufgabe der Gebäude wäre zudem ein Drittel von St.-Pauli-Süd dem Immobilienmarkt zugefallen und hätte die Gentrification-Maschine angeworfen. Von Hamburgs Armutsbekämpfungsprogramm lernt gerade Berlin und nennt es Quartiersmanagement. Park Fiction verwaltet sich lieber selbst. Bis 10. August, Himmelpfortengasse 7, Wien. Mehr unter http://members.tripod.de/FutureCity Hamburg/park_fiction_01.html