„Gerhard Schröder ist ein Scharlatan“

■  Der diesjährige Büchner-Preis-Träger Arnold Stadler im Gespräch über seinen Wunsch, Papst zu werden, seine Kanzlerverachtung, über Gott als neue Provokationsformel, das Glück des Schreibens, das Unglück des Lebens und das Scheitern, das Scheitern und das Scheitern

Als Martin Walser 1994 im „Spiegel“ schrieb, daß er die Bücher Arnold Stadlers am liebsten alle selber geschrieben hätte, war der so heftig Umarmte noch ein nahezu Unbekannter. Danach kannten ihn alle, lobten ihn viele, und manche lasen auch seine bis dahin erschienene Romantrilogie, die sich gesammelt um das Heidegger- und Stadler-Heimatörtchen Meßkirch rankt. „Heimatroman“ ist die mißverständliche Kategorie, mit der Stadler-Bücher seitdem bezeichnet werden. Es sind aber eher Anti-Heimatromane, die wohl in einer Vergangenheit nach Schönheit suchen, sich jedoch über die Vergeblichkeit dieser Suche beharrlich lustig machen. Stadler hat in den letzten Jahren viele Auszeichnungen bekommen. Im Herbst wird ihn die Akademie für Sprache und Dichtung mit dem Georg-Büchner-Preis auszeichnen. Einige waren von der Entscheidung überrascht:

taz: Herr Stadler, was war Ihr erster Gedanke, als Sie von der Entscheidung der Akademie erfuhren?

Arnold Stadler: Ich dachte: Jetzt mußt du in diese verdammte Sendung „Verstehen Sie Spaß?“. Die Angst vor Kurt Felix und seinen Fragen saß mir noch tagelang im Nacken. – Natürlich war ich perplex, obwohl ich mich für einen zu fatalistischen Menschen halte, um noch an Überraschungen zu glauben.

Auf dem Schutzumschlag Ihres jüngsten Romans versteckt sich das Porträt des Autors hinter einem String-Tanga. Ist das Wechselspiel zwischen Entblößung und Verstecken symptomatisch für Ihr Schreiben?

Ich verstecke mich nicht hinter meinen Büchern. Der Schutzumschlag schützt mich am wenigsten. Er folgt dem Gestaltungsprinzip des Verlags: fürs Schaufenster.

Die für Ihr Schreiben typische Selbstironie weicht in Ihrem neuesten Buch der Bitternis eines Totalverlustes. Ist „Ein hinreissender Schrotthändler“ Ihr traurigstes Buch?

Nach jedem neuen Roman höre ich, die Bitternis hat zugenommen, dabei schreibe ich nur immer schamloser über Tabus: Einsamkeit, Tod, Gott. Übers Ficken kann man ja heute auf jedem Stehempfang reden, nur wenn Sie „Gott“ sagen, werden Sie ausgelacht.

Glauben Sie an das Glück?

Ich glaube an das Augenblicksglück und an die Tragik eines Scheiterns, das in seiner Banalität schon wieder lächerlich wirkt. Das ist mein neobarockes Lebensgefühl. Die große historische Tragik zu beschreiben, traue ich mir nicht zu. Dazu bräuchte es zuviel Distanz. Das Glück ist ohnehin literarisch uninteressant – und auch nicht darstellbar. Allenfalls die Sehnsucht als antizipiertes Glück bleibt mir beim Schreiben.

Weil sie notwendig das Scheitern nach sich zieht, das Sie in allen ihren Büchern thematisieren? Was reizt Sie am Scheitern?

Nur literarisch kann Scheitern glücken. Das macht den kathartischen Effekt aus. Ich neige dazu, mich zu erinnern und nicht zu konstruieren. Mein Schreiben ist rückwärtsgewandte Phantasie, ohne eigentlich autobiographisch zu sein. Es ist doch ein großer Trost zu wissen, daß meine Figuren als Erinnernde ihr Scheitern schon hinter sich haben. Ich glaube übrigens, Lebenspläne sind prinzipiell zum Scheitern verurteilt – vom Tod her gesehen.

Der Tod erscheint in Ihren Romanen oft als leicht.

Jedes meiner Bücher ist eine Einübung ins Sterben. Schreiben ist für mich eine Methode, mit der unerträglichen Hinfälligkeit der Welt fertigzuwerden. Der Humor ist dabei meine rechte Hand. Ich glaube, meine Bücher entsprechen dem verbreiteten Wunsch, die Trostlosigkeit der Welt durch Lachen zu transzendieren.

Eine absurde Welt?

Das ist ein zu großes Wort. Der Eindruck des Absurden würde einem doch die Sprache verschlagen, und über das notwendige Verstummen so schreiben wie Bekkett, wer kann das schon? Es ist die Empfindung des Grotesken, die mir den nötigen Raum gibt. Ich lebe ja nach dem Grundsatz, daß nichts umsonst ist. Deshalb erscheinen mir die Dinge weniger absurd als grotesk. Ich muß sie erst noch einordnen und habe den Verdacht, daß auch dies mir nicht gelingt.

Die besten Passagen ihrer Bücher strahlen heitere Gelassenheit aus. Ist das Ihr Grundgefühl beim Schreiben?

Ganz und gar nicht. Ich schreibe in einem Zustand empörten Staunens. Zu meinem Ich-Erzähler und seinem Leiden habe ich keinerlei Distanz.

Ihre Bücher wimmeln von grotesken Gestalten und Vorkommnissen. Führen Sie eine Kuriositätenkartei?

Ich recherchiere überhaupt nicht, aber ich sammle groteske Todesanzeigen. Und wenn mir ein Freund am Telefon auf die Frage „Was machst du?“ antwortet: „Gulasch“, nehme ich das gern in ein Buch auf.

Was ist die wesentliche Kategorie Ihres Schreibens?

Die Nächstenliebe. Ich will keine originellen Schicksale verwursten und mit Gott und irgendwelchen Übervätern abrechnen. Mit meinen übrigens frei erfundenen Figuren gehe ich nie kalt und lieblos um. Natürlich sind das alles ganz glücklose Existenzen, die nie eine Chance zur Veränderung hatten. Ich bin mit vielen solcher Menschen befreundet. Hier haben Sie einen brauchbaren Satz: Meine Literatur entsteht aus dem Dilemma, die Welt retten zu wollen und zugleich an ihre Verlorenheit zu glauben.

Bevor der „hinreissende Schrotthändler“ auftaucht, verfällt die Frau des Ich-Erzählers Ihres neuen Romans dem Charme Gerhard Schröders. Sind Sie eifersüchtig auf den Kanzler?

Ich bin nie auf jemanden eifersüchtig. Am wenigsten auf Schröder, den ich für einen Scharlatan halte. Wer vor dem Bundeskanzleramt schreit „Ich will da rein“ und sich dabei filmen läßt, kann nur ein Scharlatan sein. Ich plädiere dafür, daß Wählen nicht länger eine Instinkthandlung bleiben soll und Frauen nur Frauen und Männer nur Männer wählen sollen.

Ihr Paar zieht eine bittere Bilanz: „Unsere Ehe war von Anfang an eine Katastrophe.“ Glauben Sie nicht mehr an die Ehe?

Die bürgerliche Ehe als Lebensform des 19. Jahrhunderts ist gescheitert. Das gnadenlose Zusammengesperrtsein in einer Wohnung ist doch absolut unnatürlich. Liebe als Lebensform hat erst nach dem Klimakterium eine Chance. Ich glaube an Lebensgemeinschaften von Gleichgesinnten.

Gab es für Sie je eine Alternative zum Schriftsteller?

Ursprünglich wollte ich Papst werden. Immerhin habe ich in Rom Theologie studiert. Den Religionen stehe ich noch immer mit einer distanzierten Sympathie gegenüber. Das sind doch großartige Versuche des Menschen, sich zu vergessen, aus der Erbärmlichkeit herauszukommen.

Warum ist das Projekt Kirche für Sie gescheitert?

Der quasi juristische Zugriff auf den Glauben hat mich abgeschreckt. Ich bin kein Mensch, der sich unterwirft. Außerdem kann die Wahrheit nicht teilbar sein. Der Anspruch, von Menschen Geschriebenes sei Gottes Wort, ist doch vermessen.

Am Ende haben Sie sich doch an das Wort gehalten.

Im Schreiben entwerfe ich meine eigene Theologie. Das ist meine Form von Glück.

Und worin besteht die Erlösung beim Schreiben?

In der Möglichkeit, die Erbärmlichkeit des Faktischen zu transzendieren. Das heißt, über das Leben zu lachen, ohne sich zu überheben.

Kennen Sie nicht auch die Qual des Schreibens?

Das sprichwörtliche weiße Blatt ist für mich kein Thema. Mein Kopf steckt voller Geschichten. Und sie entfernen sich gottlob immer weiter von meiner Autobiographie, und damit von der Larmoyanz. Aber natürlich wäre das vollkommene Glück eines, das keine distanzierende Sprache nötig hätte.

Interview: Stefan Tolksdorf