Sierra Leone bekommt nur schöne Worte

■ Die UNO verlangt für humanitäre Hilfe in Sierra Leone und die Reintegration ehemaliger Kämpfer nicht viel Geld. Aber bei einer Geberkonferenz bekommt sie nicht einmal das

Berlin (taz) – Die Summen, um die es geht, sind lächerlich. 35 Millionen Dollar benötigen die Vereinten Nationen für das Programm zur Reintegration ehemaliger Bürgerkriegskämpfer in Sierra Leone in das zivile Leben. Das Programm „Disarmament, Demobilisation and Reintegration“ mit der schönen Abkürzung DDR soll die etwa 35.000 Angehörigen der verschiedenen Milizen und Banden, die Sierra Leone acht Jahre lang verwüstet haben, wieder gesellschaftsfähig machen. 1.000 Dollar pro Kopf sind da eine eher geringe Summe.

27,9 Millionen Dollar wünschen sich die Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen außerdem für die allernötigsten humanitären Hilfsmaßnahmen, die die schlimmsten Folgen des Bürgerkrieges auffangen und ein Massensterben an Seuchen und Unterernährung verhindern sollen. Das entspricht etwa 6 Dollar pro Einwohner. Ein wohl eher symbolischer Betrag.

Aber während zum Wiederaufbau des Kosovo Milliardensummen dorthin fließen, ist für Sierra Leone nicht einmal dieses Geld loszueisen. Für das Entwaffnungsprogramm DDR hat Großbritannien 10 Millionen Dollar versprochen und die Weltbank 9 Millionen. Das ergibt immerhin mehr als die Hälfte der geforderten Summe. Auf den Appell zur humanitären Hilfe hin ist jedoch nach UN-Angaben bisher nur knapp über ein Viertel der geforderten Gelder eingegangen.

Dringend nötige Hilfsprogramme müssen daher verschoben werden. Dabei wird erst jetzt, nach dem Ende der Kämpfe, das ganze Ausmaß der humanitären Katastrophe in Sierra Leone deutlich. Die Hilfsorganisation „Action contre la faim“, die kürzlich zum ersten Mal den Ort Makeni im Norden des Landes besuchte, berichtete diese Woche, 30 Prozent der dortigen Kinder seien unterernährt. Die Bevölkerung ernähre sich seit Dezember von Mangos und Maniok. Alle Vorräte seien aufgebraucht. Je weiter die Hilfsorganisationen in die lange Zeit von der Außenwelt abgeschnittenen Gebiete hinter den alten Kriegsfronten vordringen, desto mehr solcher Schreckensszenarien werden bekannt.

Die große Sierra-Leone-Geberkonferenz, die am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche Vertreter mehrerer Regierungen und vieler Hilfsorganisationen in London vereinte, hat an dieser Lage nichts geändert. Großbritannien habe erneut 4,5 Millionen Pfund (13,5 Millionen Mark) zur Armeeausbildung zugesagt, war das einzige Erfolgserlebnis, über das Francis Okelo, UN-Sonderbeauftragter für Sierra Leone, hinterher berichten konnte. Sonst kam keine konkrete Zusage. „Es gibt eine Wahrnehmung der Ungleichheit in der Hilfe, die vertriebenen Menschen aus dem Kosovo zuteil wird, im Vergleich zu der, die afrikanische Flüchtlinge kriegen“, klagte UN-Flüchtlingshochkommissarin Sadako Ogata auf der Konferenz.

Diese Wahrnehmung, die UN-Generalsekretär Kofi Annan in letzter Zeit mehrfach öffentlich angesprochen hat, wird in westlichen Hauptstädten bestätigt – und bedauernd hingenommen. „Es ist wahr, daß wie viel mehr zur Beendigung von Konflikten in Europa als in Afrika machen konnten“, sagte US-Außenministerin Madeleine Albright vor zwei Wochen der US-Schwarzenorgansiation NAACP (National Association for the Advancement of Colored People). „Aber das ist keine Entschuldigung dafür, nichts zu tun. Statt dessen ist es eine Herausforderung, die Lehren aus Kosovo zu nutzen, um uns zu helfen, in Afrika besser zu sein.“ Schöne Worte sind das – mehr bisher nicht.

Lediglich Großbritannien, die ehemalige Kolonialmacht in Sierra Leone, scheint zu einem mehr als nur symbolischen Engagement bereit zu sein. Neben den erwähnten finanziellen Zusagen wird die Regierung von Tony Blair auch Militärbeobachter zur Überwachung des Friedens und einen Polizeichef nach Sierra Leone schikken. Denn das neue Friedensabkommen sei Sierra Leones „letzte und einzige Chance“, so die britische Ministerin für Entwicklungshilfe, Clare Short, bei der Konferenz in London. Zuvor hatte sie bei einer Reise nach Sierra Leone jedoch bereits versucht, Illusionen auszuräumen. „Die nächste Zeit wird die schwierigste sein“, sagte sie und warnte die Sierra-Leoner: „Bittet nicht um Hilfe.“

Dominic Johnson