Neuer Amoklauf in den USA fordert 13 Tote

Wildwest im Kasinokapitalismus: Glückloser Börsenspekulant erschießt in Atlanta neun Menschen und sich selbst, nachdem er seine Frau und Kinder umgebracht hatte. Stadt klagt auf Schadenersatz  ■   Aus Washington Peter Tautfest

Kurz vor drei Uhr nachmittags betrat der Amateur-Börsenmakler Mark O. Barton am Donnerstag eine Brokerage-Firma in Atlanta. Er scherzte mit einigen der Börsianern, mit denen er bis April dieses Jahres vor Computern gesessen und mit Aktien gehandelt hatte. Mit den Worten „Ich hoffe, dies ruiniert euren Tag am Markt nicht“ zog er plötzlich zwei Handfeuerwaffen und schoß um sich. Nachdem er vier Kollegen erschossen hatte, verließ er das Bürogebäude, überquerte die belebte Piedmont Road und betrat ein anderes Haus, in dem auch mit Aktien gehandelt wurde. Dort erschoß er weitere fünf Menschen.

Fünf Stunden später versuchte Atlantas Polizei auf einer Ausfallstraße in Richtung Norden einen verdächtigen Wagen zu stoppen. Der Insasse Mark O. Barton fuhr auf eine Tankstelle und erschoß sich. Später entdeckte die Polizei in einem südlichen Vorort die Leichen von Bartons Frau und seinen beiden Kindern, die schon am Dienstag mit einem stumpfen Gegenstand zu Tode geprügelt worden zu sein schienen. Bei den Leichen gefundene Briefe wurden nicht veröffentlicht, sie sollen Hinweise auf Tatmotive enthalten.

Bei dem neuen Massenmord, der die Serie vielbeachteter Amokläufe mit Schußwaffen in Amerika fortsetzt, starben insgesamt 13 Menschen. Zwölf wurden verletzt. „Ich bete für unsere Stadt und unser Land“, sagte Bill Campbell, der Bürgermeister von Atlanta. Im Laufe des Donnerstags wurde auch bekannt, das Mark Barton verdächtigt worden war, 1993 seine erste Frau und seine Schwiegermutter auf einem Campingplatz in Alabama mit einer Machete zu Tode gehackt zu haben. Damals war niemand verhaftet oder angeklagt worden.

Der gelernte Chemiker Barton, der früher im Großraum Atlanta bei einer Chemiefirma angestellt war, hatte seinen Beruf an den Nagel gehängt, um am Aktienmarkt das schnelle Geld zu machen. In den Firmen, die er mit seinen Waffen heimsuchte, werden oft durch die Aufnahme von Krediten sehr riskante Geschäfte mit Aktien von zumeist Hochtechnologiefirmen durchgeführt. Manchmal werden hier innerhalb von wenigen Minuten große Gewinne und Verluste gemacht. Barton hatte dabei wechselnden Erfolg, soll aber insgesamt nach Auskunft von Kollegen Geld verloren und Schulden in bisher unbekannter Höhe gemacht haben. Deswegen soll er seit April auch nicht mehr in der Firma aufgetaucht sein. Der Chef der in New Jersey beheimateten Brokerage-Firma, in deren Atlantaer Zweigstelle Barton mit Aktien spekulierte, hatte Anfang des Jahres in einem Interview mit der Washington Post diese Art der hochspekulativen Aktiengeschäfte mit einem „hochkalibrigen Gewehr“ verglichen: „Wer es richtig handhabt, kann damit sehr erfolgreich auf die Jagd gehen und einen guten Bock erlegen; in den Händen eines Amateurs aber kann diese Waffe nach hinten losgehen und einem den Kopf abreißen.“

Für Atlanta war der Amoklauf Mark Bartons der bisherige Höhepunkt einer Serie von Gewaltverbrechen. Begonnen hatte sie mit dem Bombenattentat anläßlich der Olympischen Spiele 1996. Im Frühsommer dieses Jahres hatte an einer Grundschule im Vorort Conyers ein Schüler eine Waffe mitgebracht und um sich geschossen, dabei allerdings glücklicherweise niemanden getötet. Diese bisher letzte in einer Serie von Schulschießerein geschah just an dem Tag, als der Senat über ein inzwischen gescheitertes Gesetz abstimmte, durch das der freizügige Zugang zu Waffen eingeschränkt werden sollte. Der Senat verabschiedete zwar das Gesetz, das Repräsentantenhaus aber lehnte es ab. Die Diskussion um Waffenbesitz dürfte mit dem Massenmord von Atlanta wiederaufleben. Die Hauptstadt des Bundesstaates Georgia gehört zu den Städten, die die Waffenindustrie auf Schadenersatz für die Kosten verklagen, die ihnen durch den Gebrauch von Schußwaffen entstehen.

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