Europa vergibt Patente auf Leben

Das Europäische Patentamt will Patente auf Tiere nicht länger blockieren – dabei sind sie unter den Regierungen noch immer heftig umstritten  ■   Von Wolfgang Löhr

Auf genmanipulierte Tiere und Pflanzen sowie menschliche Gene sollen ab dem 1. September in Europa Patente vergeben werden dürfen. Diese Entscheidung, die gestern bekannt wurde, traf der Verwaltungsrat des Europäischen Patentamtes (EPA) in München bereits vor eineinhalb Monaten. Sollte der Verwaltungsrat damit durchkommen, würde die in Europa seit Jahren anhaltende Blockade bei der Vergabe von Tier- und Pflanzenpatenten zu Gunsten der „Life science“-Industrie beendet.

Bislang konnte die Gentech-Industrie den von ihr immer eingeklagten und in einer EU-Richtlinie vorgesehenen umfassenden Verwertungsschutz für ihre biotechnischen Erfindungen nicht nutzen. Denn in Europa gilt ein Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ) dem das EPA verpflichtet ist – und zu dem gehören mehr Staaten als nur die EU-Länder. Die EU-Richtlinie ist daher für die europäischen Patentschützer nicht bindend gewesen. 1998 hatte das EU-Parlament für ein umfassendes Patent auf Leben gestimmt. Allerdings klagen derzeit noch selbst drei EU-Staaten gegen diese Richtlinie. Trotzdem will das EPA auf die EU-Linie einschwenken.

Der Verwaltungsrat des EPA habe damit einen „radikalen Kurswechsel“ eingeleitet, kritisiert die Europakoordinatorin der Kampagne „Kein Patent auf Leben“, die Schweizer Biologin Florianne Koechlin. „Besonders unterträglich ist“, klagt Koechlin, „daß dieser Beschluß, mitten in der Sommerpause, möglichst unbemerkt von der Öffentlichkeit durchgesetzt werden soll“. Die Patentgegener wollen vermeiden, daß einzelne Konzerne damit den exklusiven Zugriff auf bestimmte Tiere oder Pflanzen bekommen. Zum Beispiel könnten sich die Unternehmen damit Teile des Erbmaterials eines natürlichen Lebewesens patentieren lassen, wenn sie nur als erste diese Gene isolieren und ihre einzelnen Bausteine identifizieren würden. Die Industrie verlangt wiederum einen Schutz ihrer Forschungsinvestitionen.

Seit langem schon wird in Europa um die Frage, ob Pflanzen und Tiere patentierbar sind, heftig gestritten. Nach dem für das EPA maßgebliche Europäische Patenübereinkommen (EPÜ) ist es nicht zulässig, für „Tierarten“ und „Pflanzensorten“ Patente zu vergeben. Als dann vor sieben Jahren vom EPA das erste Patent für ein lebendes Tier vergeben wurde – für die sogenannte Krebsmaus –, erhoben über 200 Organisationen mit Verweis auf das im EPÜ festgelegte Patentierungsverbot Einspruch.

Der Patentanmelder versuchte, das Verbot mit einem juristischen Kniff zu umgehen: Das Patent sollte nicht nur eine einzelne Tierart, eine Maus zum Beispiel, umfassen, sondern gleich für alle „nichthumanen Säugetiere“ gelten. Eine Entscheidung vom EPA ist bis heute nicht gefallen.

Vor vier Jahren lehnte die Beschwerdekammer des EPA gar ein Planzenpatent der belgischen Genfirma Plant Genetic System ab. Begründung: Der allgemein auf Pflanzen erhobene Patentanspruch umfasse auch Pflanzensorten. Ähnlich erging es einem Patent auf eine genmanipulierte Pflanze des Chemiemultis Novartis. Der Schweizer Konzern legte Berufung ein. Auch hier steht die endgültige Entscheidung noch aus. Der Fall wurde als „Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung“ der Großen Beschwerdekammer des EPA vorgelegt.

Mehr Rechtssicherheit versprach sich die Biotech-Industrie von der Patentrichtlinie der EU. Sie sieht zwar auch ein Patentierungsverbot für Tierarten und Pflanzensorten vor. Falls der Patentanspruch aber größere Tiergruppen umfaßt, soll ein alleiniges Nutzungsrecht möglich sein.

Die Entscheidung über das Novartis-Patent wird voraussichtlich erst im Frühjahr kommen. Zumindest solange muß das EPA den neuen Bestimmungen folgen und wird wohl die zahlreichen, auf eine Entscheidung harrenden Patentanträge für Pflanzen und Tieren erteilen.