Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter: Der steinige Weg zur Rechtssicherheit

■ Bei den jüngsten Verhandlungen in Washington laborierten die Juristen an tragfähiger Rechtskonstruktion. Lambsdorff optimistisch

Berlin (taz) – Wie erreichen die deutschen Firmen, die sich zu einer Stiftungsinitiative für die NS-Zwangsarbeiter zusammengeschlossen haben, Schutz vor „doppelter Zahlung“, einmal in die Stiftungskasse, zum anderen auf Grund von Privatklagen? Graf Lambsdorff, neuer Delegationsleiter der deutschen Seite und Spezialist für Zahlungsvermeidung, zeigte sich nach der jüngsten Verhandlungsrunde in Washington gemäßigt optimistisch. Die Verhandlungen konzentrieren sich jetzt auf Rechtskonstruktionen, die, wenn nicht vollständige, so doch „hinreichende“ Rechtssicherheit für die deutschen Firmen erbringen sollen. Der für den Abschluß der Verhandlungen in Aussicht genommene Termin des 1. September, des 60. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, wurde (wie schon gemeldet) fahrengelassen.

Bislang vertraten die deutschen Firmenjuristen die Auffassung, ein „hinreichender“ Schutz der deutschen Interessen sei nur gegeben, wenn die amerikanische Regierung mit der deutschen einen völkerrechtlichen Vertrag vereinbare, der die Stiftungsregelung als abschließend erklärt und eine Bindungswirkung für alle zukünftigen Zivilprozesse in den USA entfaltet. Ein solcher Vertrag wäre als „executive agreement“ konzipiert und bedürfte nicht der Zustimmung des amerikanischen Senats.

Dieses Rechtsinstrument ist indes in den USA keineswegs unumstritten. In zwei berühmten Fällen erklärte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten solche „agreements“ des Präsidenten für rechtens: Erst, unter der Präsidentschaft F. D. Roosevelts, ein Abkommen mit der Sowjetunion zur Verhinderung privater Schadenersatzansprüche gegen die Sowjetregierung, dann, unter Carter, ein Abkommen zur Unterbindung von Klageansprüchen ehemaliger Geiseln des Mullah-Regimes gegen den Iran. Das Gericht unterstellte jeweils die schweigende Zustimmung der Legislative. Die aber wäre im Fall eines „executive agreement“ zur Entschädigung der Zwangsarbeiter kaum anzunehmen. Auch wäre der durch den Vertrag freigestellte Beklagte in diesem Fall kein Staat, sondern Private, eben die deutschen Firmen. Die Clinton-Adminstration hat sich deshalb gegenüber den entsprechenden Forderungen der deutschen Seite taub gestellt.

Eine mögliche zweite Variante bestünde darin, daß die amerikanische Regierung bei Sammelklagen gegen deutsche Firmen als „amicus curiae“ auftritt und geltend macht, die Stiftungsregelung enthalte ein faires, nicht verbesserbares Angebot. „Amicus curiae“ kann im amerikanischen Prozeßrecht jede nicht unmittelbar am Prozeß beteiligte Seite werden, wenn sie Kompetenz und Interesse nachweist. Die US-Regierung würde ein entsprechendes „Statement of Interest“ vor Gericht abgeben, das allerdings, im Gegensatz zur durchgreifenden Wirkung eines „executive agreement“, nicht rechtsverbindlich wäre.

In jedem Fall einer Sammelklage müßte das befaßte Gericht gesondert entscheiden. Offensichtlich geht es bei den Verhandlungen in Washington bzw. Bonn jetzt darum, die Rücknahme bereits laufender Sammelklagen durch die beteiligten amerikanischen Anwaltskanzleien zu errreichen. Unter dieser Voraussetzung sähen die deutschen Firmen jetzt „hinreichende“ Rechtssicherheit bei einem „Statement of Interest“ gegeben.

Den Kanzleien kommt also eine bedeutende Rolle zu, was die zunehmend scharfe Polemik in der deutschen Öffentlichkeit gegen ihre „Geldgier“ erklärt. Die neueste Variante lautet, Rechtssicherheit sei sofort erhältlich, wenn die Anwaltskasse stimmt. Einige große amerikanische Anwaltsfirmen sind diesen mit antisemitischen Obertönen versehenen Angriffen bereits entgegengetreten und stellten klar, daß nicht sie, sondern die Gerichte Gebühren und Kosten festlegten. Aber selbst wenn die Anwaltsgebühren die vereinzelt genannte Summe von 90 Millionen Dollar (wie bei einer vergangenen erfolgreichen class action) erreichen sollte, wäre diese Summe, gemessen am potentiellen Streitwert, erträglich. Sie könnte auch, wie bei dem „class action settlement“, das im Moment zwischen den Schweizer Banken und den von ihnen geschädigten NS-Opfern läuft, zum Teil aus den Zinsen der überwiesenen Beträge beglichen werden.

Die ganze Erregung über die angebliche (jüdische?) Raffgier ist aus zwei Grünfen schwer begreiflich: Zum einen hat sich die deutsche Industrie, die im Jahre 1944 immerhin zu 40 Prozent von ausländischer Zwangsarbeit am Laufen gehalten wurde, jahrzehntelang mit allen nur denkbaren juristischen Finessen vor Entschädigungszahlungen gedrückt, hierbei kräftig unterstützt von den jeweiligen Bundesregierungen. Zum anderen hat sich bislang das Gros der ehemaligen Profiteure höchst unmoralisch zurückgehalten, was Zahlungen in den Industriefonds betrifft. Christian Semler

Den amerikanischen Anwaltskanzleien kommt eine wichtige Rolle zu, was die Polemik gegen ihre „Geldgier“ erklärt