„Die Aktion war von langer Hand geplant“

■ Der iranische Schrifsteller Huschang Golschiri zum Überfall auf das Studentenheim, der Anfang Juli die Proteste ausgelöst hat, und über den Rückhalt des Reformers Chatami in der Regierung Irans

Huschang Golschiri (62) ist der derzeit bekannteste iranische Schriftsteller. Er lebt in Teheran. Zu Zeiten des Schahs saß er im Gefängnis. Die meisten seiner Werke sind im Iran unveröffentlicht oder harren seit Jahren einer Neuauflage. Seit März gehört er zum vorläufigen Vorstand des jahrzehntelang geächteten Unabhängigen Iranischen Schriftstellerverbandes. Die Organisation hat sich in einer Erklärung uneingeschränkt mit den protestierenden Studenten solidarisiert. 1998 erschien von Golschiri auf deutsch die Textsammlung „Der Mann mit der roten Krawatte“ (C. H. Beck).

taz: Herr Golschiri, Anfang Juli demonstrierten Studenten für mehr Meinungsfreiheit und Demokratie. Was hat das im Iran ausgelöst?

Huschang Golschiri: Mit der Niederschlagung der Proteste mußte man zunächst befürchten, daß es in Folge der Unruhen zum Umsturz kommen könnte. Da das nicht geschehen ist, setzen wir nun wieder auf das Bemühen, auf friedliche Weise eine Demokratisierung einzuleiten.

Wie reagieren die Fundamentalisten auf diese Bemühungen?

Sie lassen nichts unversucht, um den Menschen mit Hilfe von Einschüchterung und Gewalt ihre Hoffnung auf Chatami zu nehmen und dessen reformorientierte Politik zu torpedieren.

Was steckt Ihrer Meinung nach hinter dieser Haltung?

Die Fundamentalisten wollen unbedingt die nächsten Parlamentswahlen im Februar gewinnen. Daher glaube ich, daß sich der Kampf zwischen Reformkräften und Fundamentalisten weiter fortsetzen wird. Nur Gelassenheit, Gesprächsbereitschaft und der Rückhalt der Bevölkerung werden den Reformkräften letztendlich den Erfolg bescheren. Gewalt und willkürliche Verhaftungen bringen den Fundamentalisten nur vorübergehende Vorteile.

Welche Rolle spielten die Fundamentalisten bei den Protesten?

Wenige Stunden nach den Demonstrationen der Studenten gegen die Schließung der Zeitung Salam wurden schlafende Studenten überfallen. Die Fundamentalisten hatten vorher entsprechende Drohungen ausgesprochen. Das zeigt, daß die Aktion von langer Hand geplant war. Zum Glück haben die Studenten die Sache durchschaut und diese Verschwörung vereitelt; der Überfall auf die Studentenheime und die darauffolgenden Ereignisse sollten den Menschen demonstrieren, daß Präsident Chatami nicht in der Lage ist, das Land zu regieren.

Wie es heißt, soll die Armee den Präsidenten unter Druck setzen. Wie schätzen Sie das ein?

Vor kurzem hat der erste Mann der Sepah (eine Spezialeinheit der Armee), Oberst Safawi, öffentlich seine Unterstützung für Chatami zum Ausdruck gebracht. Zwar haben die Fundamentalisten einige der Obersten überredet, einen Brief an Chatami zu verfassen, der von ihnen nahestehenden Zeitungen auch veröffentlicht wurde. Aber daß die Armee als Ganzes und der Sepah gegen die Politik Chatamis sind, glaube ich nicht.

Wie steht es um die Stellung Chatamis in der Gesellschaft?

Zur Zeit agieren Gerichtsbarkeit, Armee und Medien gegen Chatami; sie unterstehen dem religiösen Oberhaupt des Landes, Ali Chamenei. Wenn dieses Oberhaupt die Verantwortung für die Handlungen der ihm unterstehenden Organe übernehmen würde, wären unsere Probleme gelöst. In den Reihen der Geistlichen gibt es eine Diskussion um die Rolle und die Befugnisse des religiösen Oberhaupts: Steht das Oberhaupt über der Verfassung, oder muß es im Rahmen der Verfassung operieren?

Man weiß, daß Intellektuelle Opfer von Anschlägen wurden. Verschärft sich die Situation?

Seit ich vor sieben Jahren diese Wohnung bezogen habe, ist die Nachbarswohnung nicht bewohnt. Wir haben in Erfahrung bringen können, daß der Besitzer für die Nebenkosten aufkommt, es aber in der Verwaltung keinerlei Unterlagen über ihn gibt. Ich habe mehrmals Drohungen erhalten. Unser Telefon wurde in den letzten Tagen öfters unterbrochen. Mein Sohn hat inzwischen viele Schlösser angebracht. Wir leben Wand an Wand mit dem Tod.

Was wünschen sich die Intellektuellen in ihrem Land?

Wir Schriftsteller wollen keine Revolution, nicht mit Gewalt das System ändern. Wir wollen lediglich, daß unsere Werke unzensiert veröffentlicht werden.

Nach der Verfassung der Islamischen Republik Iran darf keine Verleumdung gegen Gott, den Propheten, Imame und die Prinzipien des Islam ausgesprochen werden. Im Augenblick wird das aber sehr willkürlich ausgelegt.

Welche Auswirkungen könnten die Proteste für die Zukunft Ihres Landes haben?

Das hängt von den Zeitungen ab, von den Intellektuellen und den Kräften innerhalb der Regierung. Ich glaube, daß Chatami die letzte Chance ist für den Erhalt einer Islamischen Republik Iran. Wir dürfen nicht in eine Ära zurückkehren, wo Schauprozesse und Hinrichtungen stattfanden. Zuweilen drohen die Fundamentalisten mit Zuständen, wie sie in Afghanistan herrschen.

Interview: Souad Mekhennet