■  Die Unruhen im Iran vor zwei Wochen sind wahrscheinlich von den politischen Gegnern Mohammad Chatamis bewußt inszeniert worden. Ihr Ziel: den Iranern zu zeigen, daß der von ihnen gewählte reformorientierte Präsident nicht in der Lage ist, das Land zu führen.
: Machtkampf in Teheran

Mohammad Chatami übt den Eiertanz. Zwei Wochen, nachdem Proteste von Studenten, Jugendlichen und anderen Bürgern Teherans die Hauptstadt der Islamischen Republik für kurze Zeit in Atem hielten, nahm der iranische Präsident am Mittwoch erstmals in einer öffentlichen Ansprache zu den Ereignissen Stellung. In der zentraliranischen Stadt Hamedan erklärte der vor zwei Jahren überraschend gewählte Reformer: „Die zurückliegenden Unruhen waren nicht nur ein Angriff auf die Sicherheit, den Frieden und die Stabilität, sondern ein Aufstand, eine Kriegserklärung gegen den Präsidenten und sein Programm.“

Einerseits verurteilte Chatami den Angriff auf ein Studentenwohnheim in der Nacht zum 9. Juli, der die Proteste ausgelöst hatte. Andererseits beteuerte er seine Loyalität zum Religiösen Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei: „Die Regierung folgt dem Führer, und im Gegenzug hat der Führer immer den Präsidenten unterstützt.“

Irans Präsident weiß es besser. Schließlich hat Chamenei in den letzten zwei Jahren alles unternommen, um Chatamis Reformpolitik zu sabotieren. Zudem gilt der Erbe Chomeinis vielen als graue Eminenz hinter den Ansar-e Hisbollah, den „Anhängern der Partei Gottes“, jenen religiösen Schlägertrupps, die für den nächtlichen Überfall auf das Wohnheim verantwortlich sind. Laut Studentenangaben kamen dabei bis zu elf Hochschüler ums Leben. Die Staatsführung räumt einen Toten ein, einen weiteren in der Provinzhauptstadt Tabris, Tage später.

Am Donnerstag meldete die Zeitung Iran, zwei Führer dieser Religionshooligans seien verhaftet worden. Parallel verurteilte ein Sondergericht den Herausgeber der Pro-Chatami-Zeitung Salam (Frieden), Mohammad Choenia. Das Strafmaß steht noch aus – zwei Indizien für die Heftigkeit des Machtkampfes, der derzeit hinter den Kulissen im Iran stattfindet.

Seine Anhänger werden Chatamis Äußerungen nicht befriedigen. Tagelang hielt sich der Hoffnungsträger der Jugend nach den Jugendprotesten bedeckt. Doch der Präsident hat allen Grund zur Zurückhaltung. Die wichtigsten Machtinstrumente der Islamischen Republik befinden sich nicht in seiner Hand: das Parlament, die finanzstarken Stiftungen, die einst das Kopfgeld auf den Schriftsteller Salman Rushdie aussetzten, und der Geheimdienst. Zudem verfügt der Religiöse Führer Chamenei über eine parallele Staatsstruktur: In allen Städten unterhält er Büros, in Geheimdienst und Militär arbeiten Menschen, die nur ihm verpflichtet sind.

Präsident Chatami setzt auf Zeit. Er hofft auf die Parlamentswahlen im kommenden Februar. Danach könnte dieses Gremium von seinen Anhängern dominiert werden – sollte der mächtige konservative Wächterrat sie als Kandidaten zulassen, und sollte der Präsident dann überhaupt noch im Amt sein. In der vergangenen Woche drohten ihm Revolutionswächter in der konservativen Presse mit einem Putsch. Auch deshalb fand die Revolution nicht statt. Chatami hat es noch einmal geschafft, seine Anhänger auf das Prinzip der Friedfertigkeit einzuschwören. Das Argument zieht: Auch 20 Jahre nach der Islamischen Revolution sind die meisten IranerInnen revolutionsmüde. Sie fürchten, daß wieder ein Umsturz in einem Blutbad enden könnte und schließlich die Falschen davon profitieren. „Wir sind vielleicht die letzte Generation, die für eine friedliche Veränderung eintritt“, erklären heute Studenten.

Doch wer waren jene, die Anfang des Monats die Straßen von Teheran in Aufruhr versetzten? Ausgegangen sind die Proteste vom Campus der Universität Teheran und umliegenden Wohnheimen. Aber warum brannten anschließend Busse und Autoreifen am mehrere Kilometer nördlich gelegenen Platz Vali-e Asr, einer beliebten Flaniermeile mit ihren leuchtenden Schaufenstern und kleinen Hamburger-, Sandwich- und Pizzarestaurants? Hier genießen die Teheraner Mittelschicht und auch viele Studenten ein bißchen mühsam eroberte Freiheit. Hier schreiten Revolutionswächter kaum noch ein, wenn unverheiratete Paare gemeinsam ins Kino gehen. Und: Warum versuchten Demonstranten ausgerechnet das in der Nähe gelegene Innenministerium zu stürmen, ist doch ihr Hausherr ein Verbündeter Chatamis. Und wieso trugen sie dann auch noch ausgerechnet Chatami-Bilder vor sich her?

Die Teheraner Gesellschaft ist tendenziell konservativ. Daran ändern auch Make-up und Männer mit langen Haaren und Ohrringen nichts. „Die Teheraner mögen es nicht, wenn auch noch ihre kleinen Freiheiten in Flammen aufgehen“, berichtet eine Frau telefonisch aus der Hauptstadt. Und: „Wir hatten Angst, daß morgen die Panzer rollen.“ Hunderte Familien sind angesichts der Unruhen vorübergehend zu Verwandten in die Außenbezirke gezogen.

Wer sich in der Metropole unbeliebt machen will, der zündelt gerade hier. Irans Studenten und ihre Politaktivisten fielen in den zurückliegenden Monaten durch beinahe schon penetrante Besonnenheit auf. Die meisten reformorientierten Kräfte wurden nicht müde, ihre Loyalität zum Präsidenten zu bekunden, trotz teilweise militanter Anfeindungen durch ihre Gegner. Sie wollten Reformen – möglicherweise auch über das System Islamische Republik hinaus. Doch Revolution war ihre Sache nicht. Während nördlich der Universität Straßenschlachten stattfanden, praktizierten sie zwischen den Fakultätsgebäuden einen friedlichen Sitzstreik. Inzwischen sind die meisten von ihnen verhaftet: Der einst glühende Chomeini-Anhänger und Vorsitzende des Islamischen Studentenverbandes, Heschmatollah Tabarsadi, ebenso wie die eher säkular orientierten Vorsitzenden des Nationalen Studentenverbandes, Manuscher Mohammadi und Gholamresa Mohadscheri Nedschad.

Im Schatten der Unruhen wurde eine unbekannte Zahl anderer Oppositioneller verhaftet, darunter die Führungsspitze der illegalen Demokratischen Nationalpartei. Dabei hatte sich gerade die kaum bedeutend organisierte Opposition angesichts der Proteste Zurückhaltung verordnet. „Die Demonstranten sind viel zu weit gegangen“, erklärte eine Dissidentin damals am Telefon und: „Wir haben in den letzten Jahrzehnten gelernt, daß es klüger ist, abzuwarten.“

Dennoch wird die Zahl der in den letzten zwei Wochen im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis verschwundenen inneriranischen Regimekritiker auf zwischen 1.000 und 2.000 geschätzt. Berichten, was tatsächlich in Teheran passiert ist, können sie nicht mehr. Das von Konservativen dominierte iranische Fernsehen macht sich einen Spaß daraus, einen Studentenführer nach dem anderen zu präsentieren. Von Folter gezeichnet und in deutlich geschnittenen Beiträgen „gestehen“ sie, fremde Mächte hätten sie zu ihrem verderblichen Tun verleitet. Doch die wenigen ausländischen Beobachter, die derzeit ins Land gelassen werden, bekommen von Augenzeugen der Unruhen immer wieder das gleiche zu hören: Unter den gewalttätigen „Demonstranten“ seien auffällig viele Männer in schwarzen Bundfaltenhosen und weißen Hemden gewesen – die Uniform des Geheimdienstes. Thomas Dreger