Massenphänomen psychische Störungen

Weltkongreß für Psychiatrie beginnt am 6. August in Hamburg. Erstmals nach dem Mißbrauch der Psychiatrie durch die Nazis findet er wieder in Deutschland statt  ■ Von Brita Janssen

Psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Depression und Sucht nehmen weltweit zu und verschlimmern sich. Nach US-Studien ist fast jeder zweite einmal im Leben von einer psychischen Störung betroffen. Dennoch sind psychisch Kranke immer noch diskriminiert, und die Psychiatrie leidet trotz verbesserter Therapiemethoden unter ihrem anhaltend negativen Image.

Vorsorgemaßnamen und Behandlung psychischer Krankheiten, der Einsatz neuer Medikamente, Strategien gegen die Stigmatisierung psychisch Kranker und Hilfe für Opfer von Krieg und Vertreibung stehen im Zentrum des 11. Weltkongresses für Psychiatrie. Vom 6. bis zum 11. August treffen sich dabei erstmals in Deutschland unter dem Motto „Psychiatrie an der Schwelle des neuen Jahrtausends“ rund 10.000 Experten von allen Kontinenten im Hamburger Congress Centrum.

Der Weltkongreß der World Psychiatric Association (WPA, New York) stellt zugleich einen Höhepunkt in der Geschichte der deutschen Psychiatrie dar. Zum ersten Mal ist Deutschland mit der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) Gastgeberland. „Die Entscheidung für Deutschland als Veranstaltungsort setzt ein deutliches Signal, daß trotz des systematischen Mißbrauchs der Psychiatrie in der Zeit des Nationalsozialismus Deutschland als Standort eines Weltkongresses wieder international akzeptiert wird“, sagt der Vorsitzende des Organisationskomitees des Weltkongresses und Leiter der Psychiatrischen Klinik der Universität Düsseldorf, Prof. Wolfgang Gaebel.

Eine Ausstellung erinnert an die Opfer der Psychiatrie im Nationalsozialismus. Bei einem mit internationalen Fachleuten besetzten Symposium geht es um die Frage der Ethik in der Psychiatrie und Möglichkeiten, den Mißbrauch dieser medizinischen Disziplin zu verhindern.

Zu den Schwerpunkten der rund 3000 Vorträge und 350 Symposien, Workshops und Diskussionen zählt vor dem Hintergrund der Geschehnisse in Ruanda und auf dem Balkan der Umgang mit den psychischen Folgen von Gewalt und Krieg, die psychische Versorgung von Flüchtlingen und Folteropfern.

„Psychische Störungen sind zu einem Massenphänomen geworden. Wir müssen unser Versorgungssystem darauf umstellen. Dazu zählt eine bessere Vorbeugung auch durch psychologisch geschulte Hausärzte, die meist zuerst aufgesucht werden“, meint Kongreß-Sprecher und Suchtexperte Prof. Michael Krausz, leitender Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätskrankenhaus Eppendorf in Hamburg. „Psychische Störungen sind zur zweithäufigsten Ursache für krankheitsbedingte Invalidität geworden. Es herrschen noch immer zuviel Unwissenheit und Vorurteile. Die Menschen suchen meist erst viel zu spät fachliche Hilfe“, sagt Krausz.

Durchaus selbstkritisch stellen sich die Psychiater der Wahrnehmung ihres Faches durch Medien und Patienten. „Die Psychiatrie wird sehr eingeengt wahrgenommen, unser negatives Image in der Öffentlichkeit ist ein Riesenproblem“, meint Krausz. „Viele denken noch immer, daß wir Menschen lebenslang in Kliniken einsperren und gleichzeitig gefährliche Patienten auf die Menschheit loslassen. Vorurteile gibt es auch gegen mittlerweile weiterentwickelte, nebenwirkungsärmere Psychopharmaka.“

Ebenso habe sich die Arzt- Patienten-Beziehung im Laufe der vergangenen Jahre verändert. „Die Entwicklung geht weg vom autoritären, paternalistischen Psychiater, der angeblich weiß, was für seine Patienten gut ist, hin zum partnerschaftlichen Therapeuten, der möglichst gemeinsam mit dem Kranken und in Einbeziehung von Angehörigen die Behandlung gestaltet“, sagt Krausz.

Psychisch Kranke sind nach neuen repräsentativen Umfragen extrem von gesellschaftlicher und rechtlicher Diskriminierung betroffen. Deshalb hat die WPA ein weltweites Anti-Stigma-Programm erarbeitet, das in Deutschland in Düsseldorf und München, in Kiel, Hamburg und Lübeck im Rahmen des „MedNet-Schizophrenie-Programms“ Meinungsbefragungen erhebt und mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit Vorurteile abbauen helfen soll.