Amtsarzt entscheidet doch

Heute nachmittag berät Eingabenausschuss über Abschiebung des kranken Südafrikaners. Wenn er dann noch hier ist  ■ Von Elke Spanner

Der Vater ist ahnungslos. Als die Familie J. am Mittwoch nachmittag in Urlaub fuhr, konnte sie nicht ahnen, daß der Sohn Justin mit verbundenen Handgelenken in Haft sitzt – er hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten, als er am Montag nach Südafrika abgeschoben werden sollte (taz berichtete am Samstag). Weder über den Abschiebetermin hatte die Ausländerbehörde die Familie informiert noch davon, dass Justin versucht hatte, sich dabei das Leben zu nehmen.

Während der Vater nun nichtsahnend im Urlaub weilt, bereitet die Ausländerbehörde für heute mittag den nächsten Abschiebeversuch vor. Ob der Südafrikaner tatsächlich ins Flugzeug gesetzt wird, hängt von einer vorherigen amtsärztlichen Untersuchung ab. Eine solche, so versicherte gestern Innenbehördensprecher Christoph Holstein gegenüber der taz, soll heute vormittag durchgeführt werden. Um 14.15 Uhr startet die Maschine der Linie KLM.

Seit März sitzt der Südafrikaner, der als psychisch äußerst labil gilt, in Abschiebehaft. Obwohl eine Vereinbarung zwischen SPD und GAL vom 9. Juli vorsieht, bei kranken oder selbstmordgefährdeten Flüchtlingen einen Amtsarzt zur Begutachtung hinzuzuziehen, hatte die Ausländerbehörde den 24jährigen Südafrikaner vorigen Montag ins Flugzeug gesetzt – ohne fachärztliche Untersuchung. Auf dem Flug hatte er sich die Pulsadern aufgeschnitten oder, wie Innenbehörden-Sprecher Holstein es formuliert, „sich Verletzungen am Handgelenk zugefügt“.

Dass das überhaupt bekannt wurde, ist allein einem Zufall zu verdanken. Eine langjährige Freundin, Ute Determann, hatte Justin am Donnerstag wie so oft in der Haft besucht. Dort saß er ihr mit verbundenen Handgelenken gegenüber. „Es ist skandalös, dass die Ausländerbehörde das niemandem mitgeteilt hat“, so Determann. Innenbehördensprecher Holstein verweist darauf, dass Justin J. bereits 24 und damit erwachsen sei.

Am Freitag hat Justins Rechtsanwältin Silke von Leitner noch einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht eingereicht, über den heute entschieden wird. Am Samstag hat Claudia Leitsch von der „Gemeinwesenarbeit St. Pauli“ bei der Bürgerschaft eine Petition eingelegt. Da der Petitionsausschuss regulär erst am Nachmittag zusammenkommt, wenn der gebuchte Flieger längst gestartet ist, muss die Ausländerbehörde die Obleute der Fraktionen telefonisch zu einer Eilentscheidung zusammentrommeln. Auch das sieht die Koalitionsvereinbarung vom 9. Juli vor. Wenn nur einer der Obleute widerspricht, muss die Behörde den Abschiebetermin aussetzen und eine ausführliche Beratung des Eingabenausschusses abwarten.

Lutz Jobs von der Regenbogen-Gruppe hat bereits angekündigt, auf einer ausführlichen Prüfung zu bestehen. Der Obmann der GAL-Fraktion, Mahmut Erdem, wird einer Abschiebung nicht zustimmen, solange ihm nicht die ausführlichen Unterlagen über den Fall vorliegen – insbesondere die medizinischen Atteste und das heutige Votum des Amtsarztes. Stimmt er mit nein, muss die Ausländerbehörde die Abschiebung für heute aussetzen – wenn sie sich an die Koalitionsvereinbarung von Anfang Juli gebunden fühlt.