Mit Koran und Gewehren zum Frieden

Aus der Außensicht ist Somalias Hauptstadt Mogadischu ein Hort des Chaos. Aus der Binnensicht bildet das Netzwerk von Waffenmarkt, privater Polizei und islamistischen Gerichten eine wunderbare Ordnung    ■ Aus Mogadischu Peter Böhm

Es gibt in Mogadischu immer zwei Perspektiven, von denen aus man die Dinge betrachten kann. Die eine ist das Entsetzen des Fremden aus friedlicheren Breiten über die Allgegenwart von Gewehren und die Zerstörung der Stadt. Die zweite ist die von Ali Dere.

Der Geschäftsmann und Verwaltungschef des Bakara-Marktes hat ein Haus im Südteil Mogadischus gebaut. In der ganzen Stadt stehen Häuser leer, zum Teil riesige, vormals öffentliche Gebäude – aber Ali Dere hat sich für einen Neubau entschieden. Ein paar hundert Meter weiter die Straße hinunter stehen noch die ausgebrannten Panzerfahrzeuge der Rettungsaktion für die US-Soldaten, die 1993 zwei hochrangige Vertreter des Warlords Aidid festnehmen wollten; am nächsten Morgen wurden die Leichen von zwei GIs durch die Stadt geschleift, was den US-Rückzug aus Somalia verursachte.

Vom Bakara-Markt sind die Feuerstöße von Händlern zu hören, die ihre Waffen vorführen. Aber Ali Dere hat sich entschieden, sein Haus an dieser Stelle zu bauen. „Man muß sich das so überlegen“, sagt er. „Es ist doch erstaunlich, welche wirtschaftliche Entwicklung nach dem Krieg in Mogadischu stattgefunden hat.“ Es gebe zwei Mobilfunknetze. Auf dem Bakara-Markt, dem größten Somalias, könne man alles kaufen, was das Herz begehrt, und dazu oft noch viel billiger als anderswo.

Wenn man es sich so überlegt, hat er schon recht, der Ali Dere. Man kann sich nur wundern, wie gut alles in diesem Chaos funktioniert. Mogadischu ist eine Ruinenstadt. Seit acht Jahren gibt es keine Regierung. Noch immer vergehen in Mogadischu kaum drei Stunden, in denen nicht irgendwo Schüsse zu hören sind. Die Bewohner machen sie schon gar nicht mehr die Mühe, zusammenzuzucken.

„Du mußt darauf achten, ob das Feuer erwidert wird“, weist der Hotelmanager die Neulinge ein. „Wenn nicht, dann ballert wieder nur einer in die Luft. Wenn ja, dann solltest du schnell Deckung suchen, denn die Milizen treffen meistens nicht das, was sie treffen wollen.“

Das, was man von Ali Deres Haus aus hört, wird nicht erwidert. Das „tak, tak, tak“ gefolgt von tiefem „Bumm, Bumm“ kommt vom nahegelegenen Bakara-Markt. „In Bakara“, berichtet Ali Dere, „gibt es 23 Abteilungen. In einer davon werden Waffen feilgeboten, und wir können nichts dagegen unternehmen.“

Sicherheit ist in Somalia Privatsache. Jeder Marktstand in Bakara hat zur Bewachung seine eigene Miliz, und die Waren müssen in die Stadt hinein und aus ihr heraus Straßensperren passieren, bei denen die Händler Abgaben entrichten müssen. Das macht das Geschäft unnötig teuer und unsicher. Und die Unsicherheit ermöglicht auch den Waffenmarkt von Bakara, ein Karreé von rund 50 Häusern. Die Waffen werden drinnen ausgestellt, und man darf sie, wie man hören kann, auf ihre Funktionsfähigkeit überprüfen.

Ein lokaler Journalist holt die Preise des Tages ein: „Kalaschnikow 220 Dollar, G-3 150 Dollar, M-16 120 US-Dollar.“ Außerdem gebe es Mörser und Raketenwerfer, sagt ihm der Händler. Luftabwehrgeschütze könne er im Augenblick nicht anbieten. Aber morgen bestimmt!

„Es ist kein Geheimnis“, sagt Ali Dere, „dass afrikanische Rebellenbewegungen hierher kommen, um sich mit dem Notwendigen einzudecken.“ Die Grenzen kontrolliert niemand, und es sei deshalb nur eine Frage der Absprachen und des Geldes für die Bewachung, den Transport zu organisieren. „Die Preise hier sind allerdings relativ hoch“, schätzt er. „Wenn Sie größere Mengen kaufen wollen, rentiert es sich, gleich nach Osteuropa zu fahren.“

Keine Regierung, kein Zoll, keine Kontrolle: Es gibt alles

Doch man muss Ali Deres Perspektive verstehen. Es gibt in Mogadischu alles, was es in anderen afrikanischen Städten auch gibt. Reisebüros, die einen über Nairobi oder Dschibuti in die weite Welt bringen. Märkte, auf denen es alles gibt. Die Waren kommen fast ausschließlich aus dem zollfreien arabischen Dubai und sind sehr billig, weil auch beim Import keine Zölle aufgeschlagen werden. Die Schiffe ankern nördlich oder südlich von Mogadischu vor der Küste und übergeben ihre Waren an viele kleine Boote, die sie an Land bringen. Man kann per Sprechfunk Geld in andere Teile Somalias überweisen und sich mit seinen Verwandten unterhalten.

Aber sobald man fragt, ob denn auch Frieden wieder einkehre, drängt sich die erste Perspektive wieder auf. Vor ein paar Wochen ist erst wieder eine Friedensinitiative in Mogadischu kläglich gescheitert. Ägypten hatte die wichtigsten Warlords Mogadischus nach Kairo geladen. Sie unterschrieben einen Vertrag zur gemeinsamen Verwaltung ihrer Hauptstadt. Der Seehafen und der Flughafen, die seit dem Abzug der UNO-Truppen 1995 geschlossen waren, sollten wieder geöffnet werden. Ägypten, Libyen, Jemen und Katar erklärten sich bereit, eine gemeinsame Polizeitruppe auszurüsten und zu finanzieren. Während die Initiative die alten Rivalen um die Vorherrschaft in Mogadischu, Ali Mahdi und Hussein Aidid, zusammenbrachte, provozierte sie jedoch den Widerstand der anderen Warlords in Mogadischu: Osman Ato, einst Finanzier von Aidid, dann auf Mahdis Seite und nun auf eigene Rechnung arbeitend, ebenso wie Musa Sudi Yallahow, Mahdis Ex-Vize, dessen Hochburg im Neubauviertel Medina in Süd-Mogadischu liegt, setzten alles darin, um die Verwaltung zu blockieren. Im April verließen dann die letzten Einheiten der 6.000 Mann starken Polizeitruppe mitsamt der Ausrüstung ihre Kasernen, nachdem sie drei Monate lang nicht mehr bezahlt und versorgt worden waren, und kehrten zu dem zurück, was sie zuvor getan hatten: ihr Geld mit der Waffe verdienen. Und aus einer stabilisierenden Kraft wurde mit einem Schlag eine destabilisierende Kraft.

Ali Dere ist das Lavieren der Warlords, über die er kein gutes Wort findet, leid. „Bei denen brauchen wir uns keine Hoffnung mehr zu machen.“ Er ist einer der Geschäftsleute, die deshalb zur „Selbsthilfe“ gegriffen haben, wie er sagt. Anfang des Jahres gründeten vier Geschäftsfamilien, jeweils zu Sub-Clans der Habr-Gedir gehörend, islamische Gerichte im Südteil Mogadischus. Ein fünftes, das auch von moslemischen Geistlichen geführt wird, steht unter direkter Kontrolle des Warlords Musa Sudi Yallahow.

Nun bestehen die Scharia-Gerichte in einem unruhigen Nebeneinander mit Aidids „Autoritäten“, die den Südteil der Stadt „kontrollieren“ – auch wenn „kontrollieren“ wohl das falsche Wort ist, denn der Warlord ist nur der mächtigste von einer Reihe kleinerer Milizenchefs, die im Normalfall eigene Interessen verfolgen und sich nur hinter Aidid stellen, wenn sie jemand von außen angreift.

Die Miliz der Gerichte unterscheidet sich von den anderen nur manchmal dadurch, dass die Männer einen Vollbart und ein weißes Tuch um den Kopf tragen. Sie brauchen jedoch eigentlich kein Erkennungszeichen, denn sie sind in der Nachbarschaft bekannt und beliebt. Denn weil sie die Stadt sicherer gemacht haben, sind sie bei den Menschen sehr beliebt. Ihnen eilen wahre Heldensagen voraus: Sie haben die Straße nach Afgoye von rund 100 Straßensperren gesäubert. Die 30 Kilometer lange Strecke zu durchfahren war zuvor ein Alptraum, und Nahrungsmittel aus dem Süden erreichten oft die Hauptstadt nicht, weil die Wegelagerer an den Straßensperren der Hunger plagte.

Wer von den Warlords genug hat, wird selber einer

Die Tatsache, dass die von den Geschäftsfamilien gegründeten Gerichte sich so problemlos unter eine gemeinsame Verwaltung begaben und dass ihre Milizen nicht von der Erpressung der Bevölkerung leben, hat das Gerücht genährt, dass sie Unterstützung von Islamisten im Ausland bekommen.

Aber natürlich ist das wieder die fremde Perspektive, wie ein einheimischer Journalist, der den Berichterstatter in eines der Büros des Gerichtes führt, schnell klarmacht. Ohne unmittelbaren Anlass nimmt er die Mitarbeiter in Schutz: „Das sind keine dumpfen Fundamentalisten. Diese Männer sind Intellektuelle, die ohne Bezahlung zum Wohle ihres Volkes arbeiten.“In der Sicherheit, im Augenblick auf einer Welle der Beliebtheit zu schwimmen, besteht Sheik Hassan Cadde, der Präsident der Gerichte, darauf, dass sie nur so lange bleiben, wie die Menschen es wünschten. Er sagt, dass er eine Partei gründen möchte, die ein geeintes Somalia nach islamischen Gesetzen regiert, und auch er verfällt unaufgefordert in eine Philippika für sein Gericht, dass keine Kleidervorschriften beabsichtigt seien, und dass sie eigentlich nur genau wie jene in Deutschland funktionierten.

Natürlich weiß auch er, dass aus der fremden Perspektive abgetrennte Gliedmaßen für verurteilte Diebe nicht mit Fortschritt assoziiert werden. Viele Interviews scheint der Sheik jedoch noch nicht gegeben zu haben, denn die Frage, wovon er selbst denn lebe, trifft ihn offensichtlich auf dem falschen Fuß. Nach einer Verlegenheitspause improvisiert er, dass die Geschäftsleute ihm Aufträge überließen, von denen er seinen Lebensunterhalt bestreite.

Entscheidend sind jedoch nicht die milden und von einem ebensolchen Lächeln begleiteten Worte des Sheiks, sondern die Feinheiten. Die Ungläubigen empfängt er vor dem Haus, wo sich der Wachmann aufhält, und nicht, wie es Gästen gebührt, drinnen. Und auch ein Detail seiner Biographie ist verräterisch: dass er nämlich erst 1989 nach Somalia kam, nachdem er 18 Jahre seines Lebens in den Golfstaaten verbrachte.

Aus der ersten Perspektive ist deshalb alles klar. Es sind deutlich mehr verschleierte Frauen, die nur ihre Augen zeigen, auf den Straßen Mogadischus zu sehen als zuvor. Die Koranschulen, Hospitäler und anderen moslemischen Wohlfahrtseinrichtungen schießen wie Pilze aus dem Boden. „Das Geld dafür“, erklärt ein westlicher Diplomat, „kommt zumeist aus Saudi-Arabien und Pakistan.“

Aber klar: Das ist ja nur die eine Perspektive. Die andere ist die, die sich aufdrängt, wenn man von diesem Teil der Stadt in den Norden fährt. Im Süden sind die Geschäftsstraßen hell beleuchtet und belebt – an der Grenze wird es mit einen Schlag dunkel, und nur einige verschüchterte Gestalten ducken sich beim Vorbeifahren in die Schatten der Häuser.