Stau ist die beste Werbung für die Bahn

■ Während anderswo kleine Bahnstrecken geschlossen werden, hat Baden-Württemberg gerade wieder zwei alte wieder eröffnet

Böblingen (taz) – Zwei neue Bahnstrecken gibt es seit gestern in Baden-Württemberg. Kommunale Zweckverbände haben die 1979 stillgelegte Ermstalbahn zwischen Bad Urach und Metzingen sowie die 1966 geschlossene Ammertalbahn zwischen Herrenberg und Tübingen reaktiviert.

In keinem anderem Bundesland werden so viele alte Nebenstrecken wieder eröffnet. Verantwortlich für den Boom der Regionalbahnen sind die Autos. So startete die Probefahrt der 21 Kilometer langen Ammertalbahn mit Verspätung, weil ein Landrat und ein Oberbürgermeister auf der Bundesstraße entlang der neuen Bahnstrecke im Stau standen.

„Der Trend der Verkehrspolitik in Baden-Württemberg geht in die richtige Richtung“, sagt Frank von Meißner, Pressesprecher von Pro Bahn. Bündnis 90/Die Grünen verlangen allerdings mehr: „Die Landesregierung gibt nur das Geld weiter, das sie vom Bund erhält. Aus der Landeskasse fließt derzeit keine einzige Mark, während die Kommunen ihre Haushalte für neue Bahnstrecken belasten“, sagt Gerd Hickmann, verkehrspolitischer Berater der Landtags-Grünen. Er fordert Betriebskostenzuschüsse, wie sie in Rheinland-Pfalz gezahlt werden, und einen Schienenverkehrsplan, da bisher das Geld „ungeplant nach Gutsherrenart“ verteilt werde.

Die bisher reaktivierten Strekken sind allerdings auch ohne Zusatzgeld des Landes erfolgreich. Ein Beispiel ist die „Sauschwänzle“ genannte Schönbuchbahn zwischen Böblingen und Dettenhausen. Seit 1996 fahren auf der 17 Kilometer langen Strecke wieder Züge. Die Planer kalkulierten mit 2.500 Fahrgästen täglich, inzwischen sind es 5.000. Vor allem Pendler, die in Stuttgart, Böblingen und Sindelfingen arbeiten, sind auf die Schiene umgestiegen.

Auf einen ähnlichen Effekt hoffen die Betreiber der neuen Ammertalbahn. Auf der 1910 in Betrieb genommenen Strecke wurde 1966 der Personenverkehr eingestellt. Initiativen einiger Kommunalparlamente und der „Aktionsgemeinschaft zur Erhaltung der Ammertalbahn“ blieben lange ohne Erfolg. Der Betrieb sei unrentabel, so die Deutsche Bahn AG. Mitte der 90er erwarb der Landkreis Tübingen die Strecke von der Bahn zum symbolischen Preis von einer Mark, und die Landkreise Tübingen und Böblingen gründeten den „Zweckverband Öffentlicher Personennahverkehr im Ammertal“.

Die Bahn-Tochter Regionalverkehr Alb-Bodensee erhielt den Zuschlag für die Betriebsführung.

„Seit die Kommunen die Betriebskostenzuschüsse für den öffentlichen Personennahverkehr direkt erhalten, ist es auch für Deutsche Bahn AG interessant, an diese Gelder heranzukommen“, so von Meißner. Das niedrige Angebot für die Ammertalbahn gilt als Kampfpreis, mit dem die DB AG verhindern wollte, dass private Betreiber den Zuschlag erhalten.

Ob sich der Boom der Nebenstrecken fortsetzt, dürfte vor allem im Ammertal spannend werden. Mit 40 Millionen Mark wurde so viel wie nie zuvor für die Reaktivierung einer Nebenstrecke ausgegeben. In den Orten entlang der Strecke sind die Widerstände jedoch groß, das Auto gilt häufignoch als bessere Alternative.

Bisher werden 88 Prozent des Schienennahverkehrs in Baden-Württemberg von der DB AG betrieben, das Land zahlt dafür 750 Millionen Mark pro Jahr. Doch die private Konkurrenz wird stärker, und seit die DB vergangene Woche ankündigte, die Neubaustrecke nach Ulm nicht wie geplant zu bauen, droht Verkehrsminister Ulrich Müller, Leistungen im Nahverkehr bei den Privaten zu bestellen.

Schließlich gibt es im Autoland Baden-Württemberg noch viele vollgestopfte Straßen und stillgelegte Bahnstrecken, um deren Reaktivierung sich die DB mit privaten Konkurrenten streiten wird. Für drei weitere Strecken laufen bereits die Planungen für eine Reaktivierung. Matthias Schneider