Motto: Lieber quer stellen als verhandeln

Eine gemeinsame Anti-AKW-Demonstration hat die Bewegung nicht zu Stande gebracht. Dafür bereiten sich die Initiativen dezentral darauf vor, die Atomkraftwerke einfach vom Netz zu blockieren  ■   Von Peter Nowak

Berlin (taz) – Dicke schwarze und weiße Wolken aus einem mitten in der Innenstadt von Hannover aufgebauten Schornstein waren die letzte große Aktion der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg gegen die für den Herbst geplante Inbetriebnahme der Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben. Und mehr als das Ablassen heißer Luft hat die bundesweite Anti-AKW-Bewegung auf den ersten Blick in diesen letzten Wochen auch nicht zu Stande gebracht. Während in der Bundesregierung zwischen Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne), Kanzler Gerhard Schröder (SPD), Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) und im Hintergrund den Atomkraftwerksbetreibern ein Stellungskrieg um die Zukunft der Atomtechnologie geführt wird, scheint die Bewegung abgetaucht zu sein. Selbst die in den letzten Wochen bekannt gewordenen Störfälle in japanischen AKWs konnten die traditionell katastrophenfixierte Bewegung nicht zu mehr Aktivität veranlassen.

Dabei war alles ganz anders geplant gewesen. Vor allem Standortinitiativen hatten seit Monaten auf eine bundesweite Großdemonstration für die sofortige Stilllegung aller AKWs gedrängt, um die Meinungsführerschaft in Sachen Atomausstieg nicht den Grünen zu überlassen und das Bündnis mit Gruppen außerhalb der eigenen Szene zu suchen. Auf der bundesweiten Frühjahrskonferenz der Anti-AKW-Bewegung einigte man sich schließlich auf den Oktober als Demonstrationstermin.

Doch als es an die konkreten Vorbereitungen gehen sollte, fingen die Schwierigkeiten erst an. Die Initiativen zerstritten sich über die Frage, ob die Veranstaltung in Hannover oder nicht doch lieber in Berlin stattfinden sollte. Der Oktobertermin wiederum wurde von den Gorlebenern verworfen, weil dann die Bauern noch mit der Ernte beschäftigt seien. Nach wochenlangem Hickhack wurde das Projekt schließlich beerdigt.

„Statt sich politisch darauf zu konzentrieren, die Kräfte links von SPD und Grünen einzuladen, mit ihnen über Positionen zum Sofortausstieg zu diskutieren und zu versuchen, diese in gemeinsame Aktivitäten einzubinden, dümpelt die Anti-AKW-Bewegung in zahllosen Kleinstprojekten herum“, klagt ein Hamburger Anti-AKW-Aktivist in der Monatszeitung analyse und kritik. Eine Bündelung der Teilaspekte finde nicht mehr statt, eine gemeinsame Diskussion gebe es nicht.

Viele AktivistInnen sind für zeitraubende Bündnisgespräche nicht zu begeistern und bereiten sich lieber darauf vor, die AKWs mit eigener Kraft vom Netz zu blockieren. Ein nicht ganz aussichtsloses Unterfangen: Schließlich drängt die Atomindustrie nicht ohne Grund auf die baldige Wiederaufnahme der Castortransporte. Nach einem Jahr Atomtransportstopp wird es in den Lagerbecken der AKWs langsam eng. Sollten die Transporte nicht bis zum Jahresende wieder anlaufen, müssen einige AKWs wegen fehlender Entsorgungsmöglichkeiten abgeschaltet werden.

Auf diese Horrorszenarien der Atomindustrie bauen die Anti-AKW-Initiativen bei ihrer Verstopfungsstrategie auf. Nach dem Vorbild der „X-tausend mal quer“-Blockaden in den vergangen Jahren in Gorleben und Ahaus bereiten sich AktivistInnen dezentral auf den ersten neuen Castor-Transport vor. Nur dass diesmal neben dem Zeitpunkt auch der Ort der Blockade unbekannt ist. „Gelingt es, zu diesem Tag X genügend Menschen zum Querstellen zu mobilisieren, dann braucht es dazu so viel Polizei, dass weitere Großeinsätze lange nicht möglich sein werden“, so Aktivistin Wiebke.

Je seltener die Transporte, desto größer der Entsorgungsnotstand in den Kraftwerken – die Taktik könnte aufgehen. „Der Plan ist simpel, die Folgen für die Nuklearbranche womöglich gravierend“, schrieb der Spiegel schon vor Wochen.