„Gesetz muss präzisiert werden“

■ Der Vorsitzende der Kommission „Scheinselbstständigkeit“, Professor Thomas Dieterich, über Änderungsvorschläge und Verfassungskonformität

taz: Ihre Kommission hat Vorschläge zur Entschärfung des Gesetzes zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit erarbeitet. Was wollen Sie ändern?

Thomas Dieterich: Nach dem geltenden Gesetz müssen die Betroffenen nachweisen, dass eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, wenn die Sozialversicherungsträger dies in Frage stellen. Wir schlagen vor, das Gesetz zu präzisieren. Es muss festgehalten werden, dass diese Vermutungsregelung nur dann greift, wenn sich Erwerbstätige weigern, den Sozialversicherungen Auskünfte über die Art ihrer Zusammenarbeit zu geben. Darüber hinaus sollten die Sozialversicherungsträger in Zukunft eine Frist setzen müssen und darüber informieren, dass die Vermutungsregelung greift, wenn der Betroffene die Auskünfte weiterhin verweigert.

Was passiert, wenn Erwerbstätige die Auskünfte nicht verweigern, aber angeben, dass sie nur für einen Auftraggeber arbeiten?

Dann müssen sich die Sozialversicherungsträger nach den selben Regeln wie bisher ein Urteil darüber bilden, ob derjenige scheinselbstständig ist oder nicht. In dieses Urteil müssen viele Indizien in einer Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden. Das hat sich bewährt, zumindest hat noch niemand was Besseres gefunden.

Welche Indizien sind das?

Es gibt keine abschließende Definition von „Scheinselbstständigkeit“. Indizien für echte Selbstständigkeit könnten sein: Der Auftragnehmer kann jederzeit Aufträge ablehnen, er wirbt selbstständig für seine Dienste, das Honorar wird von Fall zu Fall neu geregelt. Der Unterschied zwischen einem Arbeitnehmer und einem Selbstständigen besteht darin, ob er persönlich weisungsgebunden ist oder nicht. Aber in der Praxis ist es so, dass ein modernes Unternehmen auch einem Arbeitnehmer große Freiheiten einräumt. Auch die Präsenz vor Ort spielt keine große Rolle mehr. Wir müssen rauskriegen wie der Betroffene sich bewertet. Ein Arbeitnehmer fühlt sich anders als ein Selbstständiger, der ein Unternehmerrisiko trägt. Das ist je nach Branche unterschiedlich, an welchen Kriterien man das festmachen kann.

Warum muss das erst vor 7 Monaten in Kraft getretene Gesetz wieder verändert werden?

Es hat sich herausgestellt, dass die Vermutungsregelung zu viele Personen erfasst. Das ließ sich mit dem Ziel, die Scheinselbstständigen zu erfassen, nicht mehr rechtfertigen. Es gab auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine so weitgehende Regelung, die durch unsere Vorschläge ausgeräumt werden. Das Gesetz hat dazu geführt, dass einige Unternehmer keine Verträge mehr mit Existenzgründern abgeschlossen haben. Sie haben Angst, dass eine Betriebsprüfung feststellt, dass der Vertragspartner scheinselbstständig ist. In diesem Fall muss der Unternehmer, nach der jetzigen Gesetzeslage Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Wenn unsere Vorschläge Gesetz werden, kann das nicht passieren. Die Vermutungsregelung soll dann nur noch in Einzelfällen greifen. Und: Rückwirkend sollen Beiträge nur noch dann erhoben werden dürfen, wenn das Gesetz vorsätzlich schuldhaft umgangen worden ist.

Der Deutsche Journalistenverband kritisiert, dass Scheinselbstständige Sozialversicherung zahlen müssen, aber keine Ansprüche auf Tariflohn, gesetzlichen Urlaub oder Mutterschutz haben.

Für Arbeitsrechtler wäre das in der Tat ein Widerspruch. Das Gesetz, das die Scheinselbstständigkeit markiert, ist allerdings ein Gesetz für die Sozialversicherungspflicht. Aber wer Sozialversicherung zahlt, soll auch arbeitsrechtlichen Schutz genießen. Wenn jemand nur zum Schein selbstständig ist, kann er arbeitsrechtlichen Schutz einklagen. Die Arbeitsgerichte sind in ihrer Entscheidung jedoch nicht an die Bewertung der Sozialversicherungsträger gebunden. Interview: Tina Stadlmayer