Das Drama des kaputten Boilers

■ Während die meisten serbischen Familien kaum über die Runden kommen, geht es einer Minderheit von Kriegsgewinnlern ausgezeichnet

Milan Nikolic ist nicht abergläubisch. Er glaubt nicht an Horoskope, Hellseher, Nymphen, Hexen oder Weltuntergangsgeschichten wie die Prophezeihung von Nostradamus. Und denn Weltverschwörungstheorien gegen die Serben und Serbien kann er auch nichts abgewinnen. Doch als er vor ein paar Tagen mit einem Bündel Rechnungen in der Hand missgelaunt, blass und mit Ringen unter den Augen vor einem Schalter in der Post in der Beogradska Straße stand, kam er laut denkend zu dem Schluss: „Irgendwie liegt auf diesem verdammten Land ein Fluch. Außerdem ist mir gestern eine schwarze Katze über den Weg gelaufen, und zusätzlich hat mich sicher jemand verwünscht!“

Kaum hatte der 45-Jährige, in einer staatlichen Firma beschäftigte Bauingenieur genug Geld aufgetrieben, um Fixkosten wie Miete, Strom und Telefon zu bezahlen, sei an diesem schrecklichen Morgen sein alter, „100mal reparierter und geflickter“ Boiler endgültig kaputt gegangen. „Ist das zu fassen?! Ein neuer Boiler kostet mindestens 2.200 Dinar (etwa 200 Mark), mehr als ich und meine Frau zusammen verdienen.“ Und es sei nun wirklich zu viel, neben der ganzen Misere auch noch kalt duschen zu müssen.

Die meisten Menschen in Serbien kommen gerade noch über die Runden – irgendwie. Aber wenn etwas Wesentliches im Haus seinen Geist aufgibt, kommt das meist einer Familientragödie gleich. Ein „Schicksalsschlag, den man verkraften und meistern muss“, erklärt Nikolic. Geld von Freunden will er sich „aus Prinzip“ nicht borgen. Denn wie soll man es je zurückzahlen?

Seit Jahrzehnten habe es in Serbien im Juli nicht so viel geregnet. Und das sei sicher die Folge der Nato-Luftangriffe, sagt Nikolic. Deshalb könne er zu allem Überfluss nun nicht einmal mit seiner Frau an die Save gehen und in seinem kleinen Boot ein wenig entspannen, von einem Sommerurlaub könne er ohnehin nur träumen. Zum Glück, sagt er, seien seine beiden Kinder gute Segler und so konnten wenigstens sie mit ihrem Klub an die Adria fahren.

„Dieses Regime hat mir die besten, fruchtbarsten zehn Jahre meines Lebens genommen“, klagt Nikolic. Ende der Achtziger hatte er ein erfolgreiches Bauunternehmen gegründet, gutes Geld verdient, die Zukunft sah damals für ihn rosig aus. Doch dann begann der Krieg, die Wirtschaftssanktionen gegen Jugoslawien, die Inflation. „Ich bin einfach zu ehrlich, ich kenne keine Mafia, die das Geld, das man mir schuldete, hätte eintreiben können. Und so bin ich Pleite gegangen und arbeite nun in dieser bankrotten Staatsfirma.“

Die vergangene Nacht hat in einer kilometerlangen Schlange vor einer Tankstelle auf Benzin wartend verbracht. Auf der Straße kann man zwar jederzeit Benzin kaufen, doch für zwei Mark der Liter. An denTankstellen ist es halb so teuer, nur gibt es nicht genügend Treibstoff für alle. Und das obwohl jeder Autobesitzer ohnehin Bons für nur zwanzig Liter im Monat bekommt. Ein monatliches Durchschnittseinkommen in Serbien liegt unter 100 Mark.

„Wir in der Schlange fahren alle Schrott, lauter zehn, fünfzehn Jahre alte Autos. Dabei wimmelt es in Belgrad nur so von nagelneuen, teuren Schlitten.“ Keinen einzigen von denen könne man natürlich in einer Autoschlange sehen. Für die gebe es genug Benzin. „Mir wäre es peinlich, so einen Wagen zu fahren, während es so vielen Menschen in Serbien schlecht geht. Die empfinden aber keine Scham in ihren BMWs und dicken Audis!“ schimpft Nikolic.

Letzte Nacht musste „so ein Typ in einem riesigen, glänzenden, schwarzen Jeep“ an der Ampel neben der Autoschlange, in der Nikolic auf Benzin wartete, anhalten. „Er hat einfach die Musik lauter gedreht, die so einige aufweckte, und schaute auf uns verachtend an“. Lauter Kriegsprofiteure seien das, die das Geld von ihrem eigenen Volk gestohlen hätten.

Nikolic wird sich keiner Demonstration, die die serbische Opposition organisiert, anschließen. Wenn es wieder einmal Wahlen gibt, will er nicht zu den Urnen gehen. Zu groß ist seine Enttäuschung über die Politik, Gott und die Welt. Hoffnung, dass irgendeine politische Partei etwas ändern könnte, hat er nicht mehr. Er wird einfach nur versuchen, seine Familie über Wasser zu halten. Und Geld für einen neuen Boiler aufzutreiben. Andrej Ivanji, Belgrad