Sorgenbrecher

■  Halt's Maul Deutschland: Die Hamburger Bands Halberstadt Quartett und Brüllen missionierten und unterhielten im Bastard

Es muß am heißen Sommer oder den Ferien liegen: Irgendwie scheint auch in den Clubs gerade Ruhepause zu sein. Man zieht sich zurück, entspannt sich vom hitzigen Treiben des neuen Berlins und lebt so in diesen Nächten ganz gut, wenn nicht gar besser. Im Roten Salon, auf dessen Charakter das Festungsähnliche der Volksbühne mehr und mehr abfärbt – ein Dinosaurier unter den Nachtleben-Locations, schwerfällig, aber gut – findet man sich plötzlich auf einem Konzert wieder, auf dem eine Band aus Kassel und eine aus Darmstadt zeigen, wie gut dort die Sixties und die Seventies verinnerlicht worden sind. Keine Spur von Verdrossenheit, mit Rock 'n' Roll läßt es sich auch in hessischen Städten gut aushalten, selbst wenn beide Bands die dazugehörigen Styles den sommerlichen Temperaturen angepasst haben und sich ganz auf die Musik konzentrieren.

Und auch zwei Tage später im Bastard im Prater ist es eher wie im Hamburger Sorgenbrecher als im Prenzlauer Berg. Das Label Kitty Yo präsentiert mit Brüllen und dem Halberstadt Quartett zwei Hamburger Bands, und es sind vor allem Hamburger und die Berliner Freunde der Hamburger gekommen. Über den eigenartigen Bandnamen Halberstadt Quartett hatte man im Vorfeld ja schon ein wenig gewitzelt: Was diese Band wohl mit der Stadt in Sachsen-Anhalt am Mikro hat? Vielleicht hielten die vier Herren sich bei ihrer Band-Gründung gerade in Halberstadt auf, vielleicht fanden sie's einfach nur lustig, vielleicht hatten sie sich auch zu oft Lars von Triers Film „Element of Crime“ angesehen, wo alle verschlungenen Handlungspfade sich irgendwie in Halberstadt treffen.

Eine Auflösung dieser wahrhaft Berlin an diesem Wochenende bewegenden Frage gab es zwar nicht, doch zumindest konnte man hinsichtlich Band-Zusammensetzung und Musik so einiges über das Halberstadt Quartett in Erfahrung bringen. So munkelte Kitty Yos Patrick Wagner an der Kasse was von einer „Hamburger All-Star-Band“, in der Andre Rattay (ehemals Blumfeld) das Schlagzeug spielen und der Testcard-Schreiber Roger Behrens an den Keyboards mitmischen würden.

Und auch der Sänger stellt sich als Hamburger Szenegröße heraus, als Mann, der das Fundbüro mit auf den Weg gebracht hatte, einen Club, dessen Stellenwert in Hamburg eine Zeitlang so groß war wie im Moment der des hiesigen Ibizas – am Freitagabend war es dort so voll wie nie, das ganze Nachtleben-Berlin wollte sich anscheinend noch ein letztes oder vorletztes oder vorvorletztes Mal die Hände reichen und einen Campari-O-Saft im schmucken Küchenstudio-Ambiente trinken. Oben heiß, unten heißer, und draußen schön und schöner, hieß die Devise, und alle waren wieder da, das Sommerloch macht's möglich.

Im Bastard im Prater dürfte man diese Probleme nicht haben: War hier früher das oberschmucke Schmalzwald, so müht man sich jetzt irgendwo zwischen Teestuben-, Rockvenue- und Kunstatmo, zumindest ein paar Leute vom Prater-Biergarten oder von der der Oranienstraße in den Achtzigern immer ähnlicher werdenden Kastanienallee zu wegzulocken.

Das Halberstadt Quartett jedenfalls macht sehr schöne, manchmal traurige und melancholische Musik, die an Cpt. Kirk und frühe Simple Minds zugleich erinnert (muß wohl an den sprudelnden Keyboards liegen), und ihr Sänger singt Sachen vom „anders fühlen, anders leben“, von „den Namen über, unter und in mir“, aber auch von der „Vereinigten Jugend aller Länder“, die die Faschisten bezwingen soll, und vom „Deutschland, das sterben soll“. Da führt dann tatsächlich „kein Weg nach Halberstadt“, da heißt es wie früher bei Kristof Schreufs Kollosaler Jugend: „Halt's Maul Deutschland“.

Das aber war vor Jahren, mittlerweile spielt Schreuf bei Brüllen, mit denen er an diesem Abend erst mal andere Probleme zu bewältigen hat: So raunzt er die Leute hinter der Theke an, was anderes „als dieses Easy-Listening-Esoterik-Zeugs“ zu spielen, woraufhin die ein leichtes Sommerstück der Stranglers einlegen. Trotzdem scheint Schreuf sich wohl zu fühlen. Wie gehabt gibt er den Entertainer und Kommunikator, doch die Animositäten, die Schreuf sonst gezielt weckt, die erfolgreichen Provokationen, die bleiben aus: Hier brüllt keiner „Rock 'n' Roll“, hier scheinen alle Anwesenden um das sehr produktive Schreufsche Dilemma zu wissen: nämlich einer Rockband vorzustehen und trotzdem keinen Rock zu machen. Schließlich ist man in einer Rockband, damit man sich gegenseitig sagt, wie ungesund man ist (Schreuf). Später räsoniert er anhand von Ted Nugent und seinen körperlichen Behandlungen mit Rehpisse über das Ortsbezogene von Rock und die zeitliche Dimension von Pop und singt Zeilen wie „Manchmal ist die gute Laune so gut, dass sie auch schlechte Launen aushält“.

Am Ende, die Laune ist gut und im Prater-Garten ist schon keiner mehr da und alle Lichter aus, gibt's dann mit „Laufe Blau“ noch den „Hit“ von Brüllen, und man kann einmal mehr auf dem Nachhauseweg „Was ich noch zu sagen hätte, dauert die Länge einer Zigarettenfabrik“ vor sich her pfeifen.

So richtig zu Hause ist man dann erst wieder, als am Kottbusser Damm in der Kneipe „Clay-Blatt“ ein Futschi-Trinker einem Kompagnon „Keile ohne Ende“ androht. Business as usual eben, und ob es in diesem Sommer in Berlin nun „passiert“ oder nicht, das interessiert von diesen beiden sicher keinen. Gerrit Bartels