Point'n'Click
: Kompost-Moderne

■  Zwei CD-ROMs dokumentieren gute, alte Netzkultur aus documenta-X-Zeiten

Wenn man es sich heute so überlegt, ist der documenta vor zwei Jahren Unrecht getan worden. Nicht nur, dass die Kunstkritik Catherine Davids intellektuelle Leistungsschau im Vorfeld gnadenlos niedergemacht hatte und nachher doch alle von der fertigen Ausstellung recht angetan waren. Auch Simon Lamunière, der 1997 für die Website und die Netzkunst auf der „dX“ zuständig war, mußte damals reichlich Prügel aus Gründen einstecken, die mit etwas historischer Distanz in einem weit milderen Licht erscheinen.

Damals war natürlich niemand mit der Künstlerauswahl einverstanden, die auf der Website der documenta präsentiert wurde – was bekanntlich bei jeder Ausstellung dieser Größenordnung unausweichlich der Fall ist. Dann gab es zur Eröffnung der documenta gleich die nächste Abreibung für Lamunière, weil Künstler und Kritiker mit der Präsentation der Netzkunst nicht zufrieden waren. Auch wenn das nüchterne Pseudobüro voller Computer, das in Kassel aufgebaut war, nun wirklich nicht die originellste aller möglichen Lösungen für das Problem darstellte, wie man Internet-Kunst im Museum zeigen kann – immerhin (so muss man im Nachhinein anerkennen) war die documenta X das erste Kunst-Großspektakel, bei der Netzkunst überhaupt eine signifikante Rolle spielte.

Ganz dick kam es dann, als die dX ihrem Ende entgegenging und sich plötzlich herausstellte, dass mit dem letzten Tag der Ausstellung auch die Website verschwinden würde. Allgemeines mißbilligendes Gemurmel in der Netzkunstszene war die Folge. Zu allem Überfluss mußte der slowenische Netzkünstler Vuk Cosic eine Woche vor Ende der documenta auch noch deren ganze Website auf seine Homepage kopieren, wo sie noch immer zu besichtigen ist (www.vuk. org/dx).

Über diesen Coup wird sich Simon Lamunière heute noch ärgern. Aber nun hat der Kurator des Genfer Museums Saint Gervais Genève endlich etwas gegen den Ruf als der „Mann, der die documenta-Website verschwinden ließ“ getan. Er hat die ganze Site als CD-ROM veröffentlicht, auf dass auch zukünftige Generationen noch sehen können, wie Netzkunst in der guten, alten Zeit aussah. Eine komplette Kopie der Website von 1997 ist die „cdx-rom“ zwar nicht – einige Projekte funktionieren nur im Netz; und bei anderen wollten die Künstler wohl nicht ihre ganze Arbeit hergeben. Aber trotzdem: Wenn morgen eine Neutronenbombe sämtliche Server mit Netzkunst auf der ganzen Welt verschwinden lassen würde, hätte man mit dieser CD-ROM einen brauchbaren, schnappschussartigen Überblick über das, was anno 1997 der Status quo in der Internet-Kunst war.

Mit Arbeiten von Jodi, Heath Bunting oder Blank/Jeron hatte Lamunière einige wichtige Protagonisten der Netzkunst eingeladen – genauso viele andere fehlen freilich auch. Als Fehlentscheidung entpuppt sich im Nachhinein die Idee, auch Künstler, die mit traditionellen Medien arbeiten, zu Netzprojekten einzuladen. Die Internet-Seiten von Carsten Höller, Rosemarie Trockel, Matt Mullican und Michelangelo Pistoletto sind auch zwei Jahre nach der documenta noch immer von bleierner Langeweile und zeigen wenig Verständnis für das neue Medium.

Lediglich „On Translation“, das Projekt von Antonio Muntadas, zeugt von einer gewissen Einsicht in die Natur des Internets. Und auch Martin Kippenberger scheint kurz vor seinem Tod noch verstanden zu haben, dass das Netz mit seiner eigenen Idee von einem „Metronet“ irgendwie kompatibel war. Da auch viele kulturelle Netzprojekte aus dieser Zeit durch Links vertreten sind, gibt diese CD-ROM sogar einen ganz guten Überblick über die Netzkultur Mitte der 90er Jahre als Ganzes.

Jodi, die auf der „cdx-rom“ nur mit einer kleinen Arbeit vertreten sind, haben fast gleichzeitig ihre erste eigene CD-ROM veröffentlicht. Das Künstlerduo, das dabei ist, sich als Vorreiter der Netzkunst in den High-Art-Diskurs einzureihen, gehört nun auch zu den ersten, die dem Internet wieder den Rücken zukehren. Scherzhaft ist in der Netzkunstszene schon von „Post-Modem Art“ die Rede: Computerkunst, die sich nicht mehr in erster Linie über das Internet definiert.

Ihrem eigentlichen Anliegen sind Joan Heemskerk und Dirk Paesmans freilich treu geblieben: unter Computernutzern Angst und Schrecken zu verbreiten. Wer die schmucklose CD-ROM einlegt und auf eines der harmlos aussehenden schwarzen Icons klickt, erlebt sein blaues Computerwunder: mal flackert der Monitor wie ein kaputter Fernseher, dann fährt das Interface Achterbahn, oder es poppen lauter sinnlose Fenster mit unverständlichen Botschaften in Maschinensprache auf. Interaktiv ist hier nichts: Danke der Nachfrage, aber der Computer kommt schon alleine klar.

Hier – wie auch auf ihrer opulenten Website (www. jodi.org) – machen Jodi das Digitale selbst zum Gegenstand ihrer künstlerischen Untersuchungen. Diesmal ist das „grafische Interface“ des Computers an der Reihe, das von dem Künstlerduo systematisch dekonstruiert wird. Das steht in einer gewissen Beziehung zu den Collage-Experimenten der frühen Moderne – freilich mit dem Unterschied, dass das Arbeiten mit digitalen Bildern selbst schon ein Arbeiten mit Ready-mades und Collagen aus vorgefundenen Material ist.

Wenn nun in den virtuellen Kompositionen von Jodi Symbole aus dem Netz oder vom Computermonitor auftauchen, dann nicht mehr als aufgestiegenes Gut aus der Alltagskultur (wie bei den Kubisten), sondern nur noch als instabiles Icon, das jederzeit in seine Pixelbestandteile zerfallen kann. Dieser Morast aus halb zerfallenen Bildresten der Computerkultur – das muß die Kompost-Moderne sein ... Tilman Baumgärtel

documenta-X-CD-ROM für Mac/PC, 45 Franken

Mediamatic Vol 92/3: Context Issue mit der CD-ROM „OSS“ von jodi, für Mac/PC, 39 DM