Verblüffende Welt aus Papier

■  In Bonn zeigen die Fotografen Thomas Demand, Ed Ruscha und Andreas Gursky, wie man Realität medial austricksen und trotzdem nah an der Wirklichkeit bleiben kann

Bilder produzieren Ereignisse. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit geschieht etwas nur, wenn es sichtbar wird. Manchmal ist etwas, das durch Bilder vermittelt wird, realer als die Realität selbst. Am nachhaltigsten belegen dies Tode, die öffentlich gestorben werden: Martin Luther King, John F. Kennedy, Marilyn Monroe. Vielleicht also ist der eigentliche Skandal am Tode John F. Kennedys junior, dass es von ihm keine Bilder gibt, die gedruckt, gesendet und gespeichert werden können. Dieser Tod wird niemals in gleichem Maße Eintritt in den ewigen Bilderstrudel finden, in dem die Ikonen des 20. Jahrhunderts treiben, konserviert für die Ewigkeit.

„Große Illusionen“ heißt eine Ausstellung im Bonner Kunstmuseum, und sie handelt von den Orten, die unsere Erinnerung beherbergen und von den Abgründen, in denen die Bilder verloren gehen. „Beau Rivage“ heißt ein Foto von 1997, doch statt an einem schönen Ufer endet der Blick am Wannenrand. Zu sehen ist ein Badezimmer, das sich überall befinden könnte. Wir wissen aber: „Beau Rivage“ ist der Name des Hotels, in dem Uwe Barschel unter mysteriösen Umständen den Tod fand. „Studio“ (1997) wiederum zeigt das Interieur eines Fernsehstudios, und ja, wir erinnern uns an Robert Lembke. Bilder, die wir kennen: „Wir haben mehr Bilder von Realität als Realität selbst“, sagt Thomas Demand. Er ruft die Bilder wieder auf, die auf den Grund des kollektiven Gedächtnisses gesunken sind: verborgen, vergangen und doch immer da.

Neben den öffentlichen Bildern sehen wir scheinbar private; Räume, die ohne mediales Vorbild auskommen: „Zeichensaal“, „Flur“, „Drei Garagen“. Doch ob eine „Hecke“ oder ein „Fenster“: Was wir tatsächlich sehen, ist bloß: Papier. Demand baut die Dinge daraus maßstabsgetreu nach und fotografiert sie dann.

Basteln als erkenntnistheoretisches Konzept – es ist ein verblüffender Trick, mit dem Demand die Dimension der Wahrnehmung auslotet. „Fotos und Realität haben nichts mehr miteinander zu tun“, stellt er lapidar fest. Doch es geschieht noch mehr in Demands menschenleeren Szenarien: In „Terrasse“ (1998) oder „Campingtisch“ (1997) wirkt es, als wäre gerade noch jemand da gewesen. Wo Candida Höfers leere Räume noch Menschen ahnen lassen, findet sich bei Demand eine befremdliche Sterilität ins Bild gesetzt. Es ist das Fehlen der Signifikanten, die Eliminierung der Details, die irritiert. Demand verwandelt die Tatsächlichkeit der Dinge in Chiffren aus Papier.

Oberflächen der ganz anderen Art zeigen die Fotos des 1937 geborenen Amerikaners Ed Ruscha, die in Deutschland noch zu entdecken sind. Zwischen Pop-Art und Konzeptkunst liegt Ruschas Ansatz, der in seinen Typologisierungen und Bilderfolgen in Bernd und Hilla Becher ein europäisches Pendant gefunden hat. Ruscha zeigte zunächst in Form von Buch-Multiples Dinge des Alltagslebens: „Twentysix Gasoline Stations“ (1963), „Every Building on the Sunset Strip“ (1966), „Thirtyfour Parking Lots in Los Angeles“ (1967) und „Nine Swimming Pools“ (1968) – typisch amerikanische Oberflächen. Vor allem auf formaler Ebene hat Ruscha die US-Fotografie stark beeinflusst: bewußt laienhaft gewählte Einstellungen und Bildausschnitte, in Kauf genommene Unschärfen. Doch was bei Stephen Shore und Nan Goldin als Anthologien des Privaten präsentiert wird, bleibt bei Ruscha kontigent und anonym.

Etwa dreißig Jahre später greift Ruscha die Motive von damals erneut auf und präsentiert sie als Einzelbilder. Die Sunset-Strip-Motive hat er 1995 noch einmal von den alten Negativen abziehen lassen: jetzt sind sie voller Kratzer und Gebrauchsspuren. Die Beschädigung erschwert das Schauen, produziert aber etwas Neues: Das Medium selbst tritt zutage. Die Trennlinie zwischen Gegenstand und Abbild verwischt. So auch in den „Swimming Pools“, die er 1997 aus seinem Buch herausfotografiert hat. Die changierenden, luziden Wasserbecken als Ausdruck kalifornischen Lebensgefühls – was bei David Hockneys Poolfotos der achtziger Jahre vor allem Ausdruck einer persönlichen Sehnsucht nach Glück und Schönheit war, lässt Ruscha in die mediale Falle laufen. Die schlechte Qualität und das sichtbare Druckraster sind eine Absage an ästhetische Ansprüche. Schön finden kann man die Motive dennoch; nicht zuletzt deswegen ist eins der Poolbilder vielleicht Plakatmotiv der Ausstellung geworden.

Innerhalb der „Großen Illusionen“ nimmt Andreas Gursky eine Sonderstellung ein: Seine teils riesenhaften Bilder zeugen von der Autorschaft des Fotografen als Lichtmaler. Gursky nutzt die kompositorischen Kräfte der Malerei: in der Wahl der Sujets; im Einsatz von Farbe und perspektivischer Ausrichtung als abstrahierende Momente. So schimmert „Yogyakarta“ von 1994 wie ein Gemälde des Impressionismus. Ein japanischer Kirschgarten in voller Blüte ist zu sehen, doch bei näherer Betrachtung entpuppt sich das ganze als Aufnahme einer Fototapete.

Gursky ist einer malerischen Tradition verpflichtet, die der Monumentalität des Einzelwerks den Vorrang vor jedem Konzept einräumt. Die Dinge bleiben, was sie sind. Allein der Blickwinkel ändert sich. Gursky schaut von einem weit entfernten, oft über den Dingen schwebenden Punkt auf das Leben als bewegte Struktur, wie in „Bundestag“, aber auch in früheren Arbeiten, die hier nicht zu sehen sind: „Cairo-Diptychon“ von 1992 etwa. Innerhalb monumentaler Panoramen wird der Mensch zum Farbpunkt.

In jüngster Zeit geht Andreas Gursky näher heran, auch näher an die Abstraktion; setzt sich mit Oberflächen und Räumen auseinander. Jetzt fotografiert er Himmel, Teppiche, Neonbeleuchtung an der Decke, Schuhe im Regal. Es geht um die Faszination an der sichtbaren Welt.

Eine aufschlussreiche Konfrontation der drei Positionen ist da gelungen, deren Motto allerdings fraglich ist. Um Illusionen geht es hier nicht. Vielmehr werden die Bedingungen des Sichtbar-Werden-Lassens der Dinge verhandelt. Was die Illusionen, zumal die großen angeht, lohnt sich vielleicht der Blick nach Düsseldorf: Dort werden in der Ausstellung „Heaven“ Bilder gezeigt, die gar nicht erst vorgeben, etwas mit Wirklichkeit zu tun haben zu wollen.

Magdalena Kröner

„Große Illusionen“, bis 15. 8., Kunstmuseum Bonn