Mein Kipling    ■ Von Dietrich zur Nedden

Wenn vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, auch ich würde irgendwann mit einem Rucksack auf dem Rücken durch die Straßen radeln, ich hätte ihn keiner Beleidigung für würdig befunden. Solche Prophezeiungen verdienten nicht die Spur einer Reaktion.

Wenn mir vor fünf Jahren meine Freundin einen Rucksack geschenkt hätte, einen grellroten von Kipling womöglich, hätte ich wahrscheinlich ziemlich unglaubhaft Freude geheuchelt, aber dann wäre der labbrige Beutel in der Ecke gelandet, wo die unsensibel ausgewählten Geschenke liegen.

Vor zwei Jahren dann habe ich in der Duty-free-Zone des Brüsseler Flughafens einen grellroten Rucksack der Marke Kipling gekauft. Ich dachte: „Gib es zu: Du fährst häufig mit dem Rad und dann ist ein Rucksack eben praktisch. Gib es endlich zu.“ Aber damit ich nicht aussehe wie all diese Nomaden, die meinen, dauernd ihre gesamte Habe bei sich tragen zu müssen, lege ich nur den einen Gurt um die rechte Schulter. Der Rucksack baumelt lässig an der Seite wie zufällig mitgenommen, wie eine Nebensache, die eigentlich nicht zu mir gehört. Das ist zwar hinderlich beim Treten der Pedale, stört sogar ganz enorm, aber so was müssen Narzissten in Kauf nehmen. Übrigens wird der Rucksack, ist das Rad abgestellt, natürlich in der Hand getragen.

Mittlerweile allerdings betrachte ich den Rucksack kaum mehr als solchen, sondern als Wundertüte. Der gute Kipling ist immer für Überraschungen gut, die ich selbst vorbereite, weil ich allerlei vom Wegesrand (Schreibtisch, Briefkasten, Umsonst-und-draußen-Displays etc.) hineinwerfe und bis auf weiteres nicht mehr herausnehme. Einmal im Monat oder so ist dann Inventur: Kontoauszüge und Ausstellungsfaltblätter und Broschüren und Überweisungsvordrucke von beispielsweise Strafmandaten; Briefumschläge mit Brief oder ohne; Zeitungsausschnitte, von denen niemand mir sagen könnte, warum ich sie ausgeschnitten habe; Gebrauchsanweisungen für Geräte, die zu besitzen ich mich nicht entsinne; ein „Reservierungs-Dokument“ für die „Exclusive Stadtmedaille von Hannover“ des „Bayerischen Münzkontors“; ein halbes Dutzend Gratis-Postkarten; eine Rechnung der Firma Playmobil über 6 Mark für Falltürteile und Gitter eines Felsenturms; eine unbeschriftete Diskette; eine Schachtel Streichhölzer und drei Einwegfeuerzeuge; eine Schachtel Tampons und ein Karton Dickmanns.

Die letzten beiden Dinge sind an dieser Stelle natürlich erfunden, um den von der banalen Aufzählung schon ermüdeteten Leser wachzurütteln. Sie gehören eigentlich in eine andere Geschichte, die von der Frau an der Supermarktkasse, die in ihren Einkaufswagen nur zwei Waren gelegt hatte, nämlich eine Schachtel Tampons und einen Karton Dickmanns. Ich fand das so komisch, dass ich das Bild nicht vergessen kann, obwohl es mindestens zehn Jahre her ist. Es passierte, lange bevor ich öffentlich dazu stehen konnte, gelegentlich einen Rucksack zu nutzen. Wenn man den Inhalt dieses Rucksacks sichtet und wahrheitsgemäß notiert, ist das Ergebnis nur begrenzt aufregend und kaum der Rede wert. Entsprechend erübrigt es sich, den Rucksack als Wundertüte zu bezeichnen. Es ist ein Mülleimer.