„Leider meist per Zufall“

■ Wie recherchiert man in den 30er und 40er Jahren geraubtem jüdischen Kulturbesitz hinterher? Ein Gespräch mit Anja Heuß

Die Historikerin Anja Heuß, 35, war die letzten sechs Jahre bei der Jewish Claims Conference als Rechercheurin beschäftigt und hat vor allem in Institutionen der neuen Bundesländer nach jüdischem Kulturgut gesucht. Sie ist derzeit als Beraterin bei der Jewish Claims Conference tätig und arbeitet wissenschaftlich zum Thema Kulturgutraub.

taz: In dem Beschluss des russischen Verfassungsgerichts zum Beutekunstgesetz heißt es, dass Institutionen und Privatleute, die zu Opfern der Nationalsozialisten wurden, auf die Rückgabe ihres Besitzes hoffen dürfen. Wie groß ist der betroffene Kreis?

Anja Heuß: Das ist unmöglich abzuschätzen. Bisher sind nur Einzelfälle bekannt, von denen man weiß, dass sich jüdisches Eigentum unter den Beutebeständen der sowjetischen Trophäenkommission befindet.

Um wie viele Kunstwerke geht es dabei?

Auch das ist schwer zu sagen. Als ich für die Jewish Claims Conference in Museen in den neuen Bundesländern nach ehemaligem jüdischen Besitz gesucht habe, bin ich eher zufällig auf einige wenige Werke gestoßen, die zuerst „arisiert“ und dann von den Sowjets abtransportiert wurden. Etwas anders sieht die Situation bei jüdischen Institutionen aus. Beispielsweise ist schon seit längerem bekannt, dass das Archiv der Jüdischen Gemeinde Saloniki in Moskau lagert.

Gibt es Listen der vermissten Kunstwerke?

Nein. Es ist traurige Tatsache, dass die Behörden, die solche Listen erstellen [das Bundesinnenministerium sowie die Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern in Magdeburg; Anm. d. Red.], sich eigentlich immer als Interessenvertreter des Bundes oder der Länder verstehen, aber nicht der jüdischen Holocaust-Opfer und schon gar nicht der Opfer im Ausland.

Wie kommen Sie denn dann an ihre Informationen?

Leider meistens per Zufall. Die Lage ist überhaupt sehr diffus. Wir wissen nicht, wenn etwas aus den Depots verschwunden ist, waren es die Russen oder waren es Privatleute, die die Werke gestohlen haben?

Wie wird es jetzt weitergehen?

Ich denke, es wird auf Rückkäufe hinauslaufen. Oder es werden, wenn man mit konkreten Forderungen kommt, Konservierungsgebühren und Lagergebühren erhoben, die – das nehme ich mal zynisch an – ungefähr in der Höhe des Werts des Bildes liegen werden. Mir ist nur ein Beispiel bekannt, wo ein Anwalt von jüdischen Erben darüber nachdenkt, nach diesem Beschluss des russischen Verfassungsgerichts Ansprüche zu erheben.

Welcher Fall ist das?

Der Fall Silberberg. Die Nationalgalerie hatte 1935 drei Werke aus dem Silberbergschen Besitz erworben. Zwei davon, ein Gemälde von Hans von Marées sowie eine Zeichnung von van Gogh, befinden sich noch in Berlin und sind bekanntlich bereits rückübertragen worden. Das dritte Werk ist eine Aktzeichnung von Paul Cézanne. Diese Zeichnung ist nachweislich in die Eremitage nach St. Petersburg gekommen. Sie wurde auf der Beutekunst-Ausstellung vor wenigen Jahren ausgestellt.

Wann, glauben Sie, werden Ergebnisse zu erwarten sein?

Der Antrag zum Fall Silberberg wird sicher noch in diesem Jahr gestellt. Ob daraus etwas wird, ist aber noch völlig offen. Und dieser Fall ist noch relativ einfach, da man genau weiß, wo sich das Werk befindet. Interview: Ulrich Clewing