Die Daddel-Schule

■ Mit gepflegten Jams lösen Widespread Panic in den USA Hysterie aus

Auch diese Revolution wurde nicht im Fernsehen übertragen. Ihre Triebfeder war nicht mediale Multiplikation, sondern Mundpropaganda, ein von lokalen Fan-Clubs getragenes Grassroots-Netzwerk zwischen Website und kontinuierlicher Live-Präsenz. Das dauerte ein bisschen länger, passte aber prima zum progressiven Paradigma einer nachhaltigen Entwicklung. Während Hip-Diskursler immer noch mühsam am Knochen „Alternative“ nagten oder in Post-Cobain-Depression verfielen, hatte die Rock-Restauration der guten alten Daddel-Schule längst harte Fakten, Fakten, Fakten geschaffen.

Neben den Blues Traveler, Phish und der Dave Matthews Band gehören auch Widespread Panic zu den US-Bands, die den gepflegten „Jam“ wieder auf die Tagesordnung des Rock-Geschehens setzten – und die es eigentlich gar nicht geben dürfte, folgte man exklusiv den Marketing-Gesetzen der Multis. Bei einem solchen hatten die Lokalkollegen von R.E.M. zwecks internationaler Karriere gerade unterschrieben, als das Sextett um den markanten Sänger John Bell 1988 sein Debüt Space Wrangler bei einem lokalen Kleinlabel herausbrachte. Zehn Jahre später sind Widespread Panic gut für gewisse Rekorde: Als sie letztes Frühjahr anlässlich der Veröffentlichung des Live-Mitschnitts Light Fuse Get Away zum „Free Concert“ luden, fielen 100.000 Panic-Heads in Athens, Georgia ein. Das Video-Dokument der etwas anderen „Release Party“ wurde sinnigerweise Panic in The Streets getauft.

Und warum nun die ganze Hysterie? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht so recht. Zwar werden Wide-spread Panic von wohlwollenden US-Kollegen schon mal gern in einem Atemzug mit den Allman Brothers oder gar Little Feat genannt, aber das ist dann doch sehr wohlwollend. Böse Menschen hingegen behaupten sogar, die Band hätte ihr bisher bestes Album als Backing-Combo für einen anderen Lokalkollegen gemacht, für Vic Chestnutt nämlich. Als Brute firmierte man 1995, Nine High A Pallet hieß das Ergebnis der halbwegs geglückten Kooperation.

Aber ich bin ja kein böser Mensch und deshalb durchaus anfällig für zarte Versuchungen mit Südstaaten-Flair. Yes, Sir, I Can Boogie!! Leider versuchen Wide-spread Panic auf 'Til The Medicine Takes, ihrem neuen, nunmehr 6. Studioalbum, ein bisschen auf „modern“ zu machen. Gleich zum Auftakt irritieren im „Surprise Valley“ Drum-Loops, und ein paar Nummern später darf gar ein leibhaftiger Turntable-Mensch (Colin Butler von Big Ass Truck) ein biss-chen im Hintergrund von „Dyin' Man“ herumscratchen. Sound-Kosmetik, die das wahre Gesicht der Band nur vorübergehend entstellt – und das ist nun mal ein bodenständiges. Ins schönste Licht gerückt wird es vor allem mit akustischen Songs wie „Blue Indian“, „The Waker“ und dem bezaubernden Schlusspunkt „Nobody's Loss“.

Andererseits kann man sich schon gut vorstellen, wie live die, nun ja, „Post abgeht“, wenn Wide-spread Panic zum programmatischen Instrumental „Party At Your Mama's House“ abheben oder in „Christmas Katie“ plötzlich einen Zahn zulegen, um dem Gniedel-Gott in einem hübsch pulverisierten Jam zu huldigen. Wird der Countdown To Ecstasy auch im Grünspan eingeläutet?

Jörg Feyer Mi, 11. August, 20 Uhr, Grünspan