Ausgeweidet

Bilderstürmer, Wiedervereiniger und Hitschmiede satt: Beim Wacken-Open-Air laufen 80 Metalbands auf 5 Bühnen auf  ■ Von Oliver Rohlf

Es ist zum Kotzen! Wir befinden uns im Jahre 1 vor 2000 und ganz Metal-Land ist von Friedfertigkeit besetzt. Ganz Metal-Land? Ja, ja und nochmals ja! Auf dem Festival-Planer eines wichtigen deutschen Szene-Magazins zum größten Metal-Open-Air-Treff Norddeutschlands schleicht sich das Metal-Mantra für das anstehende Jahrtausend per Fußnote in die Öffentlichkeit: Wacken 99, nunmehr seit zehn Jahren Freiluft-Inbegriff des lautesten aller Rockgenres soll laut Rock Hard „megahart“, vor allem aber „feuchtfröhlich“ und „friedvoll“ gedeihen.

Was erstmal so als locker-leichter „Have Fun“-Klapps daherkommt (wer ist schon gegen Spaß und dazu noch im Sommer?) ist in Wahrheit die radikalste und gemeinste Zustandsbeschreibung, die diese Musikrichtung sich und anderen in der letzten Zeit antun konnte: Heavy Metal anno 1999 ist derartig mit sich im Reinen, dass es einem fast ins Gesicht springt. Wie kluge Weisheiten fürs Poesiealbum tuckern sie durch die Boxen, diese Bekundungen nach betriebsinterner Toleranz, wohlüberlegten Stil-Überschneidungen und allgemeiner Ausgeglichenheit.

Alles geht. Hauptsache, es ist Metal und kein Disco. Jede Form von innerer Unruhe, Differenz und Aufbruch ist in die wohlmeinenden Sommerferien entlassen worden. Die einzigen, denen Metal in dieser Ausgehzeit noch die geballte Faust entgegenstreckt, sind Politiker, stadtbekannte Moralisten sowie Nachmittagsspaziergänger mit Onkel und Tante. Deswegen können sich auf den fünf Bühnen des „Wacken Open Air“ alle erdenklichen und unmöglichen Facetten ihre Saiten reichen, und es wird niemanden stören.

Was waren wir froh, als alte Szene-Recken wie Motörheads Lemmy oder Biff von Saxon angesichts rüder Death-Metal- und Grindcore-Eruptionen die Welt nicht mehr verstanden, oder als sich der skaninavische Black Metal für kurze Zeit gegen den Rest der Welt stellte. Kinder, die ihre Eltern fressen, das stellen derzeit höchstens Acts wie Mayhem, Marduk oder Totenmond in Aussicht. Der Rest übt sich im netten Nebeneinander. True Metal auf allen Ebenen, tonnenweise stilistische Implosionen sowie Haufen verkleideter Mittelalter-Morlocks, die glauben, sie klängen wie Walther von der Vogelweide. Und dann ist da noch dieser Reunionswahnsinn der Marke „Traue keinem unter 35“.

Hier die Zusammenfassung der wichtigsten Interpreten: Da wären die alten Damen von Girlschool. Die haben als erste Frauen-Metal-Band um 1980 mit Motörhead zusammen gerockt und mit Demolition und Hit And Run auch zwei gute Alben gemacht. Destruction waren zusammen mit Sodom und Kreator die Vorzeige-Black-Thrasher aus dem Ruhrpott. Nun soll den alten Songs dank Originalsänger Schmier, bestem NRW-Englisch und diversen Patronengurten neues Leben unterm umgedrehten Kreuz eingehaucht werden.

Richtig schön schlimm wird es, wenn die ehemaligen Neat Records-Artisten von Jaguar die Speed-Metal-Keule schwingen und Gassenhauer wie „Axe Crazy“ oder „Back Street Woman“ zum besten geben. Was wahrlich ganz gut kommt, ist der immerhin erste Europa-Auftritt der kanadischen Speed-Trasher Razos, die simple Kunst der Tygers Of Pan Tang und natürlich die Wiedervereinigung der metallischen Crossdresser Twisted Sister. Die haben zumindest live einen enormen Bumms und mussten dem Hamburger Publikum 1985 noch erklären, dass das Wort „Motherfucker“ bitte nicht wörtlich, sondern global zu verstehen sei. Mal sehen, was diesmal auf dem Stundenplan steht.

Nur, soll das alles gewesen sein? Metaller, wenn ihr meint, eure Erfüllung sei eine Oldie-Parade, dann habt ihr es nicht anders verdient. Wer also morgen die A 23 von Hamburg gen Norden donnert, und die Abfahrt Schenefeld/Wacken nimmt, wird sie sehen, diese blassen Bierdosenkiller, Hitzefrei-Protestler und Schwarze-T-Shirt-Träger, die sich redlich mühen, jedes erdenkliche Metal-Klischee aufs Herzlichste zu bedienen. Daher: Metaller ist, wer trotzdem lacht!

Fr, 6. August, ab 14 Uhr: Edguy, Jag Panzer, Leatherwolf, U.D.O., Hammerfall, Rage, Saxon, Tygers Of Pan Tang, Paragon, Torment, Drecksau, The Sygnet, Brainstorm, Mystic Circle, Killers, God Dethroned, Immortal, Reverend Jürgen, Powergod, Totenmond, Richthofen, Roland Grapow, Sinner, Girlschool, Napalm Death, Death SS, Eläkeläiset, Witchery, Blind Passengers, Crematory, Destruction, Mayhem, Mercyful Fate, In Extremo, In Aeturnum, Bewitched, Graveworm, House Of Spirits, Eisregen, Sinister, Temple Of The Absurd, Pariah, Freedom Call, Warhammer, Die Apokalyptischen Reiter, Enslaved, The Waltons, Vicki Vomit

Sa, 7. August, ab 10 Uhr: Mar-shall Law, Wardog, Metalium, The Bullheadz, Primal Fear, Axel Rudi Pell, Pretty Maids, Metal Church, Dee Snider, Therion, Mindfeed, Paradox, Lefay, Labyrinth, Whiplash, Agent Steel, Destiny's End, Razor, Spock's Beard, Solitude Aeturnus, Umbra Et Imago, The Crown, Memory Garden, Threshold, Dark Tranquility, Marduk, Steel Prophet, Axxis, Jaguar, Nevermore, Warrant, Angra, Dr. Death, Amon Amarth, Tristania, In Flames, The Gathering, Subway To Sally, Six Feet Under, Atrocity, Cannibal Corpse, Dimmu Borgir, Onkel Tom

Anfahrt: A 23 Richtung Itzehoe, Abfahrt Schenefeld/ Wacken oder mit dem Zug nach Itzehoe, Shuttle-Busse bis zum Festivalgelände.