Shanghai vermisst den großen Bai-ke-han-mu

■ Die Vorbereitung von Champions-League-Sieger Manchester United auf die am Samstag beginnende Fußballsaison in England hatte eindeutig mehr geschäftlichen als sportlichen Charakter

Manchester (taz) – Die Fußball-Meisterschaft in England beginnt am Samstag, aber Manchester United hat bereits enttäuscht – in China. „Wir wollen vor allem wissen: Wird Bai-ke-han-mu dabei sein?“, schrieb vor drei Wochen die Tageszeitung Shanghai Evening News, während der englische Meister und europäische Champions-League-Gewinner auf dem Weg zu Testspielen im Fernen Osten war. Welch Traurigkeit in China, als United dann ohne den populären Mittelfeldspieler eintraf (der hierzulande besser unter der Schreibweise David Beckham bekannt ist). Beckham hatte ein paar Tage für seine Hochzeitsreise frei bekommen. Unterdessen entdeckten seine Mitspieler in Hongkong und Shanghai „eine völlig neue Welt von Fanatismus“, berichtet Verteidiger Jaap Stam: „Fotografen verfolgten uns auf Fahrrädern, und wenn wir in ein Geschäft gingen, warteten fünf Minuten später hunderte Chinesen vor der Tür auf uns.“

Rund zehn Tage später, bei 28 Grad Celsius auf dem Trainingsgelände The Cliff in Manchester, hat sie die Normalität wieder. Das übliche, ausgiebige Lauftraining in der Saisonvorbereitung, und die üblichen, kauzigen Sprüche von Trainer Alex Ferguson. Über den größten Erfolg seiner Mannschaft, das 2:1 über Bayern München im Champions-League-Finale, gerade 66 Tage alt, brauche keiner mehr zu reden, „ich weiß noch nicht einmal mehr die Torschützen“, sagt Ferguson. „Kann sein, dass irgendeine Seele in unserer Umkleidekabine nun glaubt: ,Ich habe es geschafft.‘ Nun, er wird einen Schock erleben. Hier geht es weiter.“

Doch hat Ferguson selbst spüren müssen, dass es bei United nicht mehr weitergeht wie gewohnt. Der umsatzstärkste und nun auch sportlich erfolgreichste Klub auf Erden wird von Interessenkonflikten geplagt; das Bemühen, den Verein in einen Weltkonzern zu verwandeln, lässt sich nur noch schwer mit den traditionellen sportlichen Aufgaben im eigenen Land vereinbaren. So wird United in der anstehenden Saison den englischen FA-Cup nicht verteidigen, sondern statt am ältesten Wettbewerb des Profifußballs an der neu geschaffenen Klub-Weltmeisterschaft teilnehmen. Die Termine wären kollidiert. Und die Chancen auf einen guten Start in der englischen Meisterschaft steigerte Uniteds Vorstand sicher nicht, indem er gut ein Drittel der Vorbereitungszeit für die Reise nach Fernost verplante. Dort wurde weniger das Angriffsspiel als die neueste Marketing- Offensive vorbereitet. In China, Singapur, Malaysia und Indonesien genauso wie in den Vereinigten Emiraten eröffnet United nächstes Jahr eigene Fanshops – beziehungsweise „emotionale Hauptquartiere“, wie Peter Kenyon, der zweite Vorsitzende des Vereins, das nennt.

Mit der Champions League haben Klubs neuerdings eine Klasse, die auf der ganzen Welt beachtet wird. „Vereinsfußball“, behauptet Ferguson, „ist wichtiger geworden als die Spiele der Nationalelf“ – und besser: „Wenn dir ein Länderspiel einfällt, dass an unsere Champions-League-Duelle mit Barcelona oder Juventus Turin von vergangener Saison herankommt, möchte ich es sehen. Das letzte gute Weltmeisterschaftsfinale gab es 1986, Argentinien gegen Deutschland.“

Viele fürchten, durch die Konzentration der großen Klubs auf internationale Spiele würden die nationalen Ligen entwertet. Doch in England lässt sich erst einmal das Gegenteil beobachten: Im Sog von United wurde die gesamte Premier League stärker. Selbst ein mittelmäßiger Klub wie Coventry City konnte für diese Saison auf einmal einen Klassemann wie den Marokkaner Mustapha Hadji gewinnen, Afrikas Fußballer des Jahres. Dass der Deutsche Christian Ziege nun für Middlesbrough statt Milan spielt, hat allerdings mehr mit dem Wertverlust des Spielers als mit der gestiegenen Attraktivität der Liga zu tun. Den prominentesten Neuen meldet mit dem französischen Weltmeister Didier Deschamps der FC Chelsea, der diesmal als Manchesters erster Konkurrent im Streit um die Meistertrophäe erscheint. United dagegen präsentierte außer einem neuen Torwart, dem exzellenten Australier Mark Bosnich von Aston Villa, bislang keine Verstärkung. Wohl brauche er welche, sagte Trainer Ferguson, aber Transferentscheidungen seien nicht einfach, wenn „der Vorstand in China herumspringt“. Das konnte man als kleinen Scherz verstehen – oder große Kritik.

Ronald Reng