Abdullah Öcalans letzter Trumpf

In der Türkei wird darüber gerätselt, ob die PKK der Aufforderung ihres zum Tode verurteilten Führers folgt und sich aus der Türkei zurückzieht. Regeneration der PKK in Iran und Irak?  ■   Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Noch einmal ist Abdullah Öcalan der Held des türkischen Blätterwalds. Mit „Apos letzte Worte“, überschrieb die Tageszeitung Radikal ihren Aufmacher zum gestrigen Aufruf Abdullah Öcalans, die PKK solle den bewaffneten Kampf beenden und sich aus der Türkei zurückziehen. Das war Apos letzter Trumpf, meint das Blatt. Doch wird er auch stechen? Das ist die Frage, die die türkische Öffentlichkeit jetzt bewegt. Die Frage richtet sich vor allem an Cemil Bayik. Er leitet seit der Gefangennahme Öcalans im Februar in Kenia den militärischen Flügel der PKK, die ARGK. Obwohl die PKK sich offiziell zu einer kollektiven Führung bekennt, die nach außen versucht, Einigkeit zu demonstrieren, gab es vor allem seit Öcalans Gerichtsauftritten häufiger widersprüchliche Erklärungen, die darauf schließen lassen, dass Bayik den Kurs Öcalans nicht in derselben Weise nachvollzieht wie der politische Flügel der PKK in Europa.

Obwohl Öcalan während des Prozesses seine Leute aufforderte, eine friedliche Lösung zu suchen, hat die PKK den Kampf in den Bergen intensiviert und durch Überfälle auf Militärstationen und Patrouillen zu zeigen versucht, dass sie nach wie vor zuschlagen kann. Bayik dürfte auch unter Druck der eigenen Basis stehen, die Öcalans Auftreten zum Teil als „Dolchstoß“ in den eigenen Rücken empfindet. Erst vor zwei Wochen wurde bekannt, dass der PKK-Kommandeur von Elazig Öcalan als Verräter bezeichnet hat, dem er nicht länger folgen würde. Die PKK-Führung sagte darauf, es gäbe schon länger marodierende Banden, die nicht ihrer Kontrolle unterstünden. So bestritt die PKK nach Öcalans Verurteilung die Verantwortung für Anschläge in türkischen Großstädten und auf andere zivile Ziele. Am Montag wurden nahe der größten kurdisch besiedelten Stadt, Diyarbakir, sechs Bauern auf dem Weg von Feld ins Dorf ermordet. Während offizielle Stellen sofort die PKK verantwortlich machten, verurteilte die prokurdische Hadep den Überfall und sprach von unbekannten Tätern. Auch der Sprecher des Menschrechtsvereins in Diyarbakir, Osman Baydemir, verurteilte den Mord an den Bauern und erinnerte an Verschwundene und Getötete, die auf das Konto staatlich gelenkter Terrorgruppen gehen sollen.

Selbst wenn Cemil Bayik mit Öcalan übereinstimmen sollte und den Befehl zum Rückzug aus der Türkei gibt, dürfte die Gewalt im kurdisch bewohnten Südosten der Türkei nicht automatisch vorbei sein. Die Falken unter den türkischen Kommentatoren hoben gestern hervor, dass Öcalan seine Leute ja nicht aufgefordert habe, sich zu ergeben, sondern sich in Nachbarländer zurückzuziehen. Obwohl dies auch von Öcalans Anwälten auf Nachfrage nicht präsiziert wurde, kann damit nur der Nordirak und Iran gemeint sein. Seit der Vertreibung der PKK aus Syrien und dem syrisch kontrollierten Teil des Libanon versucht die flüchtende Guerilla, sich im Nordirak und teilweise im Iran eine neue Basis zu schaffen. Im Nordirak hält die PKK sich vor allem in den von Jelal Talabani kontrollierten Gebieten entlang der iranischen Grenze auf. Talabani, der mit dem anderen irakischen Kurdenführer, Massoud Barsani, im Clinch liegt, benutzt die PKK als Verstärkung im Kampf gegen Barsanis Demokratische Partei. Die USA versuchen seit langem, die konkurrierenden irakischen Kurden dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten, die PKK hinauszuwerfen und sich auf den Kampf gegen Saddam Hussein zu konzentrieren. Das gelang bisher jedoch nicht, weil Talabani auch mit dem Iran kooperiert.

Das erklärt auch, warum die PKK angeblich Lager im Iran aufbaut, was bereits letzte Woche zu einer Krise im türkisch-iranischen Verhältnis führte. Bei der Verfolgung von PKK-Kämpfern hatte die türkische Luftwaffe ein iranisches Dorf bombardiert und dabei nach iranischen Angaben fünf Menschen getötet. Iran verlangt eine Entschädigung und hält zwei türkische Soldaten fest, die iranisches Gebiet betreten hatten.

Trotz der Befürchtung, die PKK wolle sich in den Nachbarländern nur regenerieren, bezeichnete ein Teil der türkischen Presse den letzten Vorstoß Apos als große Chance für eine Lösung des Konflikts. Vor allem seine wiederholte Feststellung, Gewalt sei schädlich für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage, werde auch viele seiner Anhänger in den Bergen beeindrucken, hoffen die liberalen Zeitungen. Bislang gelang es Ministerpräsident Ecevit allerdings nicht, ein Amnestiegesetz für PKK-Leute, das diesen Umdenkprozess unterstützen soll, durchs Parlament zu bringen. Ecevit betonte gestern in Ankara, es werde keine Verhandlungen mit der PKK geben. Denn Öcalan habe sich erst nach seiner Festnahme und dem Prozess für eine friedliche Lösung ausgesprochen.

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