Vollmond & Julisonne

Von der Elbe zum Bosporus: Fatih Akin auf dem Weg nach Istanbul in die große Kino-Manege  ■ Von Anna v. Villiez

Die Veddel, Hamburgs derbes Töchterchen, zeigt sich im vor stehender Hitze flirrenden Abendgewand. Zöge gleich eine Karavane am Großmarkt vorbei, man nähme es gelassen dahin. Oder man könnte sich verlieben.

Doch der Freihafen liegt nicht verlassen. „Und bitte!“, heißt es an Schuppen 51 zum fünften Mal von Regisseur Fatih Akin. Voltstarke Strahler machen die die junge Nacht zum Tag. Zentrum des Geschehens ist der Parkplatz vor einer Hafenkaschemme. Im Hintergrund döst ein obszön großer Lkw im Halbdunkeln. Und zum fünften Mal sagt Christiane Paul zu Moritz Bleibtreu: „Sei doch kein Spielverderber. Also ich geh– jetzt jedenfalls rein.“

Fußvolk tummelt sich zahlreich im Off, wispert in Funkgeräte, trägt, schraubt, rennt, raucht. Gleich darauf: „Und bitte!“, Klappe sechs, sieben, acht. So wird es weitergehen, bis die Sonne wieder aufgeht und einen weiteren brüllendheißen Julitag einläutet.

Hier entsteht der zweite Langfilm von Jungfilmer Akin, der mit seinem Debut Kurz und Schmerzlos quer durch die gesamte deutsche Filmszene für Furore sorgte.

Für Im Juli steuerte die Hamburger Filmförderung 1,7 Millionen Mark bei. Bei dieser Produktion ist alles anders, und vor allem ein paar Schuhnummern größer. Der Newcomer-Bonus ist dahin, dieser Film ist der Eintritt in die Manege der Großen.

Hochglanzkino will er machen, mit allem Glamour, der dazu nun mal gehört. Mit Christiane Paul und Moritz Bleibtreu sind denn auch folgerichtig zwei aufstrebende Stars der deutschen Filmszene dabei, mit Pierre Aim ein Kameramann, der im Pariser Straßenfilm La Haine als virtuoser Stilist wie Dokumentarist brillierte. Mehmet Kurtulus und Idil Üner bewährten sich bereits in Kurz und schmerzlos, und die Belgraderin Branka Katic kennt man im Westen aus Emir Kusturicas Groteske „Schwarze Katze, weißer Kater“.

Im Juli wird eine Liebesgeschichte auf Rädern, ein Roadmovie, der in Altona beginnt und dann immer weiter gen Osten zieht, bis er in Istanbul ans Ziel kommt. Wenn Kurz und schmerzlos schwarz war, wird Im Juli bunt; wenn jener ein Nachtfilm war, ist dieser voller Sonnenschein. „Ich glaube, nur so kann ich mich weiterentwickeln, indem ich immer wieder Neuland gewinne“, sagt Akin zu seiner neuen Produktion.

Im Produktionsheft heißt es: „Die Sonne gehört mir genauso wie die Nacht, die Komödie gehört mir genauso wie das Drama, das Lachen genauso wie das Weinen, das Deutsche genauso wie das Türkische...“ Hoffentlich bleibt der soziale Realismus, der seinen ersten Film zu einem Lichtblick in der deutschen Kino-Ödnis machte, dabei nicht irgendwo auf der Strecke.

In Kurz und schmerzlos umarmte Akin seine Freunde, seine Heimat Altona, sich selber. Jede Szene sagte: „ So bin ich, hier bin ich und ich liebe es!“ Im Juli ist dagegen eine Wagnis, eine Fahrt ins Blaue. Doch für Akin sind Drehorte wie Budapest und Istanbul auch ein Stück Vergangenheit. „Die Tour Altona-Istanbul kenn' ich gut, denn die bin ich oft mit meinen Eltern gefahren. Und ich bin auch mal wegen einer Frau in die Türkei getrampt.“ Genau das tut sein Protagonist Daniel Bannier, der verklemmte Referendar für Deutsch und Physik. Er, der nicht weiß, wohin mit der vielen freien Zeit, begibt sich auf die Reise, um der Versuchung einer verwirrenden Nacht zu erliegen.

„Daniel verkörpert quasi meine deutsche Seite, die Schmuckverkäuferin Juli meine türkische. Die Reise des Intellektuellen führt ihn in sein Ich, er verwandelt sich.“ Über die Zusammenarbeit mit Akim sagt Bleibtreu: „Fatih schafft es, echte Menschen zu kreieren, die man aus dem täglichen Leben kennt – und genau darum geht es im Kino.“

Das schafft paradoxerweise gerade das Kind zweier Kulturen die realistischeren Filmdeutschen. Fatih Akin kennt beide, und er sagt ja zu den Dingen, die er liebt. Ein Wagnis ist der Film auch, weil er eine Liebesgeschichte erzählt und damit auf Distanz verzichten muß. „Gerade das reizt mich an der Arbeit mit Fatih“, so Christiane Paul, „denn einen guten Liebesfilm gibt es nicht im deutschen Kino“.

Indem er das Pendel zwischen Elbe und Bosporus ausschwingen lässt, lotet er Gefühlswelten aus, lässt Begegnungen zu und führt zum Schluß zusammen, was zusammen gehört.

Noch etwas aus Akins unerschöpflicher Zaubertüte: Alle, die jetzt schon Fans sind und nicht mehr bis zum Filmstart Anfang 2000 warten wollen, können den Werdegang des Filmes im Internet mitverfolgen: www.imjuli.de.