„Ich bin ein Tamagotchi-Künstler“

■  Der Traum vom eigenen Lied: der britische Musiker Momus hat ihn für 30 Auserwählte wahr werden lassen, die sich bei ihm einen eigens maßgeschneiderten Song bestellen konnten. Seine Platte „Stars Forever“ verspricht den Auftraggebern Ewigkeit für ein paar Sekunden

taz: Wie schnell waren die 30 Plätze für „Stars Forever“ ausverkauft?

Momus: Wir haben nach zwei Wochen keine Anmeldungen mehr aufgenommen. Auf der Warteliste waren noch einmal 20 Leute, also insgesamt hatten wir insgesamt um die 50 Anfragen in diesen zwei Wochen.

Waren Sie überrascht?

Ja, freudig überrascht. Vielleicht sollte ich das hauptberuflich machen. Wenn ich zwei Songs am Tag schreiben würde, könnte ich Millionär werden. Offensichtlich gibt es einen sehr großen Markt für diese Art personalisiertes Songschreiben und ich kenne sonst niemanden, der Songporträts anbietet.

Was ist der Reiz für die Porträtierten?

In gewisser Weise habe ich das perfekte Produkt gefunden, ich verkaufe ewiges Leben.

Und der Reiz für den Porträtierenden?

Ich habe versucht, dem Publikum mehr Macht zu geben. Ich wollte zurück ins 18. Jahrhundert, zurück zu der demütigen Herangehensweise der damaligen Künstler, die Dienstleister für machtvolle Mäzene waren. Über das Internet hatte ich die Möglichkeit, mit jeder einzelnen Person einen Vertrag zu schließen, und musste die dann zufriedenstellen. Ich musste einen Song machen, den sie hören wollen.

Gab es schon Reaktionen?

Ja. Niemand hat seinen Song überhaupt nicht gemocht. Andererseits: Es scheint zwar so, als würde ich den Künstler auf eine nur dienende Funktion reduzieren. Aber wir haben ja nicht zufällig „Die Hoffräulein“ von Velázquez für das Cover ausgewählt. In dem Bild scheint er zu sagen: Ich bin wichtiger als der König von Spanien. Und möglicherweise bin ich ja berühmter als die Menschen, denen ich Ruhm anbiete. Mit diesem Album biete ich Ruhm an, den ich nicht einmal selber besitze. Aber ich schlage vor, dass, wenn Momus jemals berühmt wird, sie einen Teil dieses Ruhms abbekommen – was wahrscheinlich ein bisschen arrogant ist. Andererseits, wenn man sich überlegt, was man für 1.000 Dollar an Konsumgütern kaufen kann, dann ist ein Song über dich eines der interessantesten Dinge, die man kriegen kann. Man bekommt irgendeine Art von Unsterblichkeit.

Sie haben behauptet, das Musikgeschäft würde sich durch das Internet dramatisch ändern.

Es ändert sich schon jetzt. Demnächst möchte ich eine Platte machen, auf der ich die Träume von anderen Menschen verwende oder ihre Stimmen. Ich möchte ein Künstler sein, der in ständiger Interaktion mit seinem Publikum ist. Ein Tamagotchi-Künstler, dessen Knöpfe eher das Publikum drückt, als dass ich selbst die Knöpfe drücke. Meine Homepage wird zur Plattenfirma werden.

Was passiert mit CDs, Plattenfirmen, Produzenten?

Die Mediengeschichte zeigt, dass Medien nicht komplett ersetzt werden, sondern nebeneinander weiter existieren. Durch das Fernsehen musste sich das Radio die eigenen Möglichkeiten bewusster machen. Das Internet wird nicht die gesamte Musikindustrie ersetzen, es wird weiter Plattenfirmen geben. Aber die Industrie muss realisieren, dass ihre Aufgaben woanders liegen, dass es nicht mehr um den physischen Vertrieb von Atomen geht. Sie werden weiterhin DJs oder Kuratoren sein. Zwar kann der Künstler über das Internet direkten Kontakt mit seinem Publikum haben, andererseits verliere ich mich vielleicht in der chaotischen Wildnis der Daten. Was man also braucht, sind nicht unbedingt Plattenfirmen, sondern Kuratoren, die eine gewisse Sensibilität entwickeln dafür, was die Menschen möglicherweise mögen, wenn sie zuvor dieses oder jenes gemocht haben.

Die Geschichte technischer Innovation zeigt allerdings, dass sie selten der Demokratisierung, aber fast immer dem Profit der großen Konzerne diente.

Das Beispiel Microsoft hat doch gezeigt, dass der Versuch, Kontrolle über das Internet zu gewinnen, scheitern muss. Die Menschen wollen Chaos und Wildnis. Sie wollen, dass die Website von Sony nicht grundsätzlich anders aussieht als die von Momus. Du kannst ohne Geld eine Website machen, die fast genauso aussieht wie eine, die eine Million Dollar gekostet hat – es geht nur um die Qualität deiner Ideen. Natürlich versuchen die Konzerne zu kontrollieren und zu dominieren, aber ich glaube nicht, dass sie es schaffen werden. Die Leute wollen, dass das Netz so bleibt, wie es ist.

Ist das aber nicht unvermeidlich, wenn die Probleme mit dem sicheren Zahlungsverkehr endlich gelöst sein werden?

Ich denke eher, dass auf lange Sicht Geld immer weniger relevant werden und von Information ersetzt wird. Schon jetzt zahlt man für den Zugang zu manchen Informationen, indem man mit Informationen bezahlt, wie den eigenen Konsumentendaten.

Wie sieht dann die Zukunft des Künstlers aus? Wovon soll er leben, wenn er nur mehr mit Informationen bezahlt wird?

Der Künstler, der DJ, der Kurator, alle werden zu einem einzigen Tier. Das ist dann ebenso Künstler wie guter Kommunikator, Vertriebs- und Werbefachmann. Jemand wie Jeff Koons ist ein gutes Beispiel, denn der arbeitet auch an der Börse, er weiß sehr gut, wie er seine Kunst verkauft, und er beschäftigt Menschen, die seine Kunst für ihn herstellen. Er selbst besitzt keine der klassischen Fähigkeiten eines Künstlers. Er ist eher eine Sensibilitätsmaschine, er verkauft den Menschen seine Sensibilität. Es geht weniger um die Kunst, als um die öffentliche Person: Wer oder was ist Jeff Koons? Ich denke, wir alle werden ein wenig so wie er werden.

Sind Sie selbst schon eine Sensibilitätsmaschine oder zumindest auf dem Weg dorthin?

Ich versuche es. Ich versuche, die Techniken der großen Experten zu lernen. In der Musik sind es Leute wie Kraftwerk, KLF, Cornelius. Das alles sind Menschen, denen man nicht glauben kann, was sie sagen. Aber es geht nicht darum, ob es wahr oder falsch, sondern ob es interessant oder langweilig ist. Das sind Menschen, die ein völlig anderes Level in der konzeptionellen Herangehensweise an ihre Arbeit erreicht haben. Die Frage war nicht mehr nur: Wie mache ich einen guten, klassischen Popsong? Sondern: Was ist ein Popsong? Wie verändere ich meine Persönlichkeit hin zum Interessanteren? Vielleicht liegt die Zukunft in einer Art Scharlatanerie. Der Künstler nimmt die jeweils passende Persönlichkeit an.

Bestimmt die Technologie das Ergebnis, oder ist Technologie nur Mittel zum Zweck?

Als Musiker muss ich natürlich feststellen, dass die Geschichte der Popmusik weitestgehend die Geschichte des technologischen Fortschritts ist. Tatsächlich sind die interessantesten Stellen der Popgeschichte meist die, in der Künstler ein spezielles Interesse an Technologie hatten. Aber das ist ziemlich ambivalent. Hätte es im 18. Jahrhundert bereits Computer gegeben, wäre es trotzdem noch das Zeitalter der Aufklärung. Die Beziehungen, die menschliche Wesen zueinander haben, haben etwas mit Macht zu tun und nicht mit Technologie. Andererseits kann Technologie ein Ausdruck von Macht sein.

Wie ist das Verhältnis bei Ihnen selbst?

Meist beginnt es mit Technologie. Ich habe zwar mit Schreiben angefangen, aber als ich meinen ersten Kassettenrekorder bekam, machte es gleich viel mehr Spaß. Mit Rekordern zu spielen ist viel attraktiver als mit Stiften. Es macht einfach Spaß mit meinem Apple zu arbeiten. Ich denke, wenn es nur darum ginge, sich auszudrücken, meine ach so großartigen Gedanken niederzuschreiben, dann wäre mir das viel zu langweilig. Ich habe ein sehr taktiles Verhältnis zu Apparaten.

Sie stammen aus Schottland, haben in Paris gelebt, jetzt wieder in London. Hat das Land, in dem man lebt, in Zeiten des globalen Dorfes noch einen Einfluss auf die Kunst, die man produziert?

Ja, denn man verbringt zwar vielleicht zwei Stunden täglich im Internet, aber 24 Stunden an dem Ort, an dem man lebt. Irgendwann kann man sich vielleicht jederzeit in Tokio materialisieren. Aber komischerweise sind auch die Netze in den verschiedenen Ländern durchaus unterschiedlich. So geht es etwa in den britischen Newsgroups ziemlich unflätig zu.

‚/B‘ Interview: Thomas Winkler