Tanjas Einsatz fürs Vaterland

Sie trägt Blümchenkleid und Rüschenband, sorgt fürs Essen daheim und verlegt Kabel auf Baustellen. Tanja Kreil ist die Frau, die den Dienst an der Waffe einklagt  ■ Aus Hannover Jens Rübsam

Lustvoll spaziert ein Persönchen, gewachsen auf Einmetersiebenundfünfzig, durch den hannoverschen Zoo. In feinem Girlie-Zivil, fröhliches Blümchenkleid mit hauchdünnen Trägern und oberschenkelkurz, schlendert sie vorbei am Gorillahügel (“Ach, Göttchen“), mustert Leoparden hinter dicken Glasscheiben (“Sind die kuschelig“) und sieht Schildkröten beim Liebemachen zu (“Hmm“). Die kleine Frau erinnert an die Pippi-Langstrumpf-Freundin Anika, schüchtern und schreckhaft, seelengut und kreuzbrav. Kaum vorstellbar: Diese Frau, gepresst in einen Kampfanzug! Hockend in einem Dachs-Pionierpanzer! Hantierend an einem G-36-Gewehr! Das aber will sie.

Lesbe, Emanze, Postfeministin; martialisch, drahtig, tough – lebt das Bild von Frauen, die zur Bundeswehr wollen, nicht vor allem von Klischees? Was also dann, wenn einem diese zierliche Person gegenübersteht: um den Hals zwei Silberketten, eine mit Kreuz- und eine mit Skorpion-Anhänger versehen, auf der Schulter ein Tatoo, das lange Haar mit einem schwarzen Rüschenband gebunden. Die erste Frage, logisch: „Sind Sie Tanja Kreil?“

Sie ist es. Tanja Kreil aus Hannover, 22, Energieanlagenelektronikerin bei Siemens. Diejenige, die will, was Deutschlands Männer müssen, dürfen, können: dienen, gehorchen, schießen, Zeitsoldat werden. Diejenige, die derzeit mit einer Klage sogar den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg beschäftigt. Emanzipierte Frau? Feministin? „Nein, nein“, wehrt sie ab, als sei sie nach etwas Unappetitlichem gefragt worden. Viel eher: „Ich bin total langweilig. Ich wollte nur einen Job bei der Bundeswehr haben und neue Techniken kennenlernen.“ Und?

Da schmunzelt die Kämpferin. Es gibt kein „Und?“. Fragen nach dem Warum, ihr vielfach gestellt seit knapp drei Jahren, seitdem ihre Klage anhängig ist, nerven sie. Das Gerede von einem emanzipatorischen Auftrag schert sie genauso wenig wie das Anliegen, das Feministinnen wie Siglinde Neher formulieren: „Wenn wir uns für die Befreiung und Gleichberechtigung der Frau einsetzen, heißt dies für uns, dort zu beginnen, wo frauenfeindliche und frauenunterdrückende Gewaltstrukturen am deutlichsten zu Tage treten“, nämlich in der Bundeswehr. „Dummes Zeug!“ pflegt Tanja Kreil darauf zu antworten. Ihr Freund, vier Jahre beim Militär und erst kürzlich mit dem Dienstgrad Stabsunteroffizier ausgeschieden und mittlerweile so etwas wie der Manager der öffentlichen Person Tanja Kreil, pflichtet ihr heftig bei.

So ist sie eben. Eine einfache junge Frau aus Hannover. Eine, die Journalisten bittet, nicht so viele Fremdwörter zu benutzen. Die damit kokettiert, „theoriedoof“ zu sein, dafür aber „handwerklich begabt“. Die quietschvergnügt anmerkt: „Politik finde ich tierisch langweilig“, und „für Geschichte interessiere ich mich nicht“, obwohl „ich in Kürze vielleicht Geschichte schreiben könnte“. Die einen fürsorglichen Ton anschlägt, wenn sie von ihrem Kater Barny erzählt, siebeneinhalb Kilo schwer und einen Meter lang. Die entzückt die Augen verdreht bei der Vorstellung, den Kopf auf Vaters wohligen Bauch zu legen und fernzuschauen. Die zehn Tage nach Kennenlernen ihres Freundes in die Verlobung einwilligt. Die ein richtig schlechtes Gewissen hat, dem Toilettenmann im Zoo fünfzig Pfennig schuldig geblieben zu sein, weil sie gerade kein Geld dabeihatte. Die noch einmal zurückgeht zur „Öffentlichen“, um zu zahlen. So ist sie eben: grundehrlich und aufrichtig nett.

Im Expo-Zoo zu Hannover schreien die asiatischen Elefanten, und es schleichen die Löwen. Es schaukeln die Dromedare, und die Drillmännchen recken ihre Hinterteile gen Himmel. Treffpunkt Zoo! Das hatte Tanja Kreil vorgeschlagen. „Weil es hier so schön ist, so ruhig und so erholsam“, sagt sie. Irgendwie klingt das treuherzigkindlich und so traurig, als würden hier Gespräche über Frauen in Kampfeinheiten und über patriarchale Machtstrukturen in der Bundeswehr per se nur stören können.

Weiß Gott, es ist leichter, mit Tanja Kreil über den geplanten Urlaub zu plaudern: Tauchferien über Weihnachten und Jahrtausendwende auf einer Insel vor Kuba und schon jetzt damit beginnen, ins Solarium zu gehen. Oder über die Wohnung. Gerade sind die Decken vertäfelt worden. Und der Schreibtisch des Freundes wurde im Schlafzimmer plaziert, „weil ich den PC nicht im Wohnzimmer haben wollte“. Oder über den Haushalt. Der Freund wäscht bei 30, 60 und 90 Grad und saugt Staub in allen Ecken, „weil er derzeit noch keinen Job hat“. Sie fährt am Morgen zur Arbeit, trägt auf Baustellen Verantwortung, vor allem auch für Männer, und sorgt sich anschließend ums Essen. Fast immer kauft sie Tiefgefrorenes und schiebt es am Abend in die Mikrowelle. „Kochen“, sagt sie, „ist mir meist zu aufwendig.“

Bisweilen wirkt Tanja Kreil wie ein sorgloses Fräulein, vergnügt, verträumt und durch die Welt lustwandelnd, als sei diese ein großes Wunderland. Kaum ein Anzeichen davon, dass sich mit ihr ein Verwaltungsgericht beschäftigte und nun der Europäische Gerichtshof über ihrer Klage brütet; dass sich Politiker zu Äußerungen genötigt sehen – wie Verteidungsminister Scharping (“... planen wir, Frauen ... auch im Wachdienst, also auch mit der Waffe, einzusetzen“) und Ministerpräsidentin Simonis (Frauen „die volle Waffenausbildung“ ermöglichen); dass Wehrrechtsexperten über die korrekte Auslegung von Paragrafen debattieren; dass selbst Soldatinnen im Sanitätsdienst nun darüber streiten, ob Frauen sich eignen für die Laufbahn des allgemeinen Truppendienstes – eine Oberfeldapothekerin lobt die „Kompetenz der Frauen im Umgang mit Menschen“, ihren „Teamgeist“ und ihre „Kreativität“ , ein Feldwebel sieht ihresgleichen „wegen der extrem physischen Belastung eher nicht geeignet für Kampftruppeneinsätze.

Dass auch Feministinnen im Clinch liegen über der Frage: Sollen Frauen, gleichberechtigt den Männern, aber freiwillig, zur Bundeswehr dürfen? Die einen meinen: Es gilt, eines der letzten geschlechtsspezifischen Berufsverbote für Frauen aufzuheben. Und betonen: Es kann nicht sein, dass die Männer in den Kampf ziehen und die Frauen die Verbände anlegen. Die anderen halten dagegen: Frauen, die in Armeen wollen, begeben sich in patriarchale Gewalt- und Zwangssituationen, die der Stabilisierung und dem Erhalt des frauenfeindlichen Staates dienen. Und fügen ihrerseits hinzu: Entscheidend ist nicht, ob Frauen auf Befehl töten können, sondern ob sie das wollen.

Da überfällt selbst Tanja Kreil die heilige Wut. Die Bundeswehr abschaffen? „Die verteidigt doch unser Land. Die leistet humanitäre Hilfe.“ Frauen Berufswege versperren? „Ich fühle mich als Frau zurückgestoßen, als Mensch zweiter Klasse.“ Soldatinnen sind Mörderinnen? „Jeder Mensch kann jemanden umbringen, aus Notwehr, aus Versehen.“

So ist sie eben auch. Was sich Tanja Kreil in den Kopf gesetzt hat, will sie erreichen, unbedingt. Dafür kann sie dickköpfig werden und hartnäckig und kämpferisch und manchmal auch leicht schnippisch. „Und wenn ihr jemand dumm kommt, macht er das nur einmal“, warnt ihr Freund. Die Bundeswehr kam ihr dumm, im Herbst vor knapp drei Jahren.

Und dann? Es folgt eine Geschichte, wie sie Mädchen im Alter von zwanzig Jahren wohl durchaus passieren kann. Eine einfache Geschichte, ohne Zweifel und ohne Fragen und ohne analytische Überlegungen. Tanja Kreil war in der Ausbildung bei Siemens, in der Endphase. Sie hatte gelernt, Kabel zu verlegen, Beleuchtungen zu installieren, Motoren zu warten – sie war genauso gut wie die männlichen Azubis, wenn nicht gar manchmal besser, sie hatte sich durchgesetzt. Wie sollte es nun weitergehen? Wird sie übernommen? „Bewerb dich bei der Bundeswehr“, empfahl ihr Freund – und sie tat es, auf eine Stelle für die Instandsetzung von Waffensystemen. Zwei Wochen später fand sie eine Absage im Briefkasten, Begründung: Frauen dürften nur im Sanitätsdienst und in Militärmusikkorps als Berufssoldatin eingesetzt werden, 4.250 zählt die Bundeswehr inzwischen.

Tanja Kreil schrieb an den damaligen Verteidungsminister Volker Rühe. Der ließ ausrichten: „Keine Chance“. Ihr Freund riet, nicht aufzugeben, und verwies sie an den Bundeswehrverband. Der ärgerte sich schon lange darüber, dass seine weiblichen Mitglieder nur helfen und musizieren dürfen und dass ihnen Berufschancen bei der Bundeswehr verwehrt werden, was, laut einer Richtlinie der EU-Kommission gegen die Diskriminierung von Frauen bei der Berufswahl, nicht zulässig sei. Es war also nicht überraschend, dass sich die Herren Funktionäre offenherzig für das Anliegen von Tanja Kreil zeigten – und ihr nahe legten, vor Gericht zu ziehen, und ihr Rechtsbeistand zusicherten.

Seitdem ist Tanja Kreil Mitglied im Bundeswehrverband, überweist monatlich neun Mark Beitrag und genießt höchstes Vertrauen. Was sich zum einen daran zeigt, dass es der Anwalt der Soldatenvereinigung fast drei Jahre nicht für zwingend ansah, seine prominente Mandantin persönlich kennenzulernen. Das geschah erst jetzt, Ende Juni, bei der Verhandlung vor dem EuGH. Was sich zum anderen auch daran zeigt, dass sich der Verband an den Reperaturkosten ihres Autos beteiligt. Auf dem Weg nach Luxemburg hatte der Wagen schlappgemacht.

„Tanja ist das Zugpferd des Bundeswehrverbandes“, sagt ihr Freund. „Die brauchten eine Person, die sich öffentlich hinstellt und klagt“, sagt sie selbst. „Lassen Sie sich benutzen?“ Sie überlegt. Doch eine Antwortet bleibt aus. Ob sie die Frage als zudringlich empfindet? Mag sein, dass sich Frauen, Selbstbildnis Kämpferin und Berufswunsch Soldatin, so etwas nicht fragen lassen.

Eine Kämpferin ist Tanja Kreil, eine Kämpferin war sie schon immer. Im Kindesalter brachte es sie zum Judo-Landesmeister und zu Bestwerten im Orientierungslauf. Jetzt kämpft sie mit Vorliebe an zwei Fronten. An der Front Baustelle, die Gegner, manchmal: gestandene Männer, die skeptisch auf ihre Vorgesetzte, „die Kleine“, blicken. „Die Kleine“ aber schleppt zentnerschwere Kabel wie alle und lässt für sich keine Ausnahme gelten und will sich stets selbst etwas beweisen. „Wer sich nicht durchsetzen kann“, sagt sie, „geht unter.“

Sie kämpft an der Front Baggersee, die Gegner hier: eine Pressluftflasche, gefüllt mit 2.000 Liter Sauerstoff, und ein Jackett, bleischwer. Mit leichter Hand trägt sie beides ans Ufer, tariert beides auf ihrem Rücken – „viel Spaß“ ruft sie aus dem Wasser heraus und taucht ab. Es ist an diesem Tag ihr 15. Tauchgang. 4,3 Meter tief und 22 Minuten wird ihr Tauchcomputer später anzeigen. Und sie wird sagen: „Ich war schon einmal siebenundzwanzigeinhalb Meter unter Wasser.“

Im nächsten Frühjahr soll sich der Kampf der Tanja Kreil entscheiden. Dann wollen die Richter am Europäischen Gerichtshof ein Urteil fällen. Sollte Deutschland verpflichtet werden, die Voraussetzungen zu schaffen, damit auch Frauen Berufssoldatinnen werden können – wie in 15 anderen europäischen Staaten schon üblich –, „dann“, sagt Tanja Kreil, „werde ich es mir überlegen, ob ich das mache“. Überlegen?