„Die Maus stank schon!“

Könnten Sie sich vorstellen, Elefantenläuse mit Wohlwollen zu betrachten und angesichts von Bandwürmern und Leberegeln nicht gleich Reißaus zu nehmen? Walter Tscherner ist Parasitologe im Tierpark Berlin und voller Enthusiasmus für die Schliche der Evolution. Ein Porträt  ■ von Ute Scheub

taz: Sie beschäftigen sich mit Bandwürmern, Spulwürmern, Milben, Zecken, Läusen und Flöhen. Mögen Sie Ihre Viecher?

Walter Tscherner: Ja! Über die Maßen! Das hängt mit ihrer Vielgestaltigkeit zusammen, die der Parasitismus als Lebensform hervorgebracht hat. Da gibt es, obwohl ich hier so lange tätig bin, immer noch fast täglich Neues zu entdecken.

An der Wand Ihres Labors hängen Fotos von den verschiedenen Eiern- und Larvenformen. Gibt es Parasiten, die Sie besonders schön finden?

Nun ja, der Begriff Schönheit ist sicher relativ und hängt mit Erziehung, Tradition und Gewohnheit zusammen. Ich persönlich finde solch ein Tier wie einen Floh einfach schön. Wenn Sie den unter dem Mikroskop anschauen, finden Sie höchst filigrane Mundwerkzeuge. Die sehen einfach toll aus!

Auch die Elefantenlaus scheint es Ihnen angetan zu haben.

Das stimmt. Mit ihrem Rüssel, den sie genauso wie ihr Wirtstier besitzt, gräbt sich die Elefantenlaus meistens hinter dem Ohr des Elefanten in dessen Haut ein. Wenn sie ein Blutgefäß gefunden hat, spreizt sie Hautschuppen aus, die aussehen wie Aalspeere mit lauter kleinen Widerhaken. Damit hakt sie sich ein, damit sie nicht abgestreift wird, wenn der Elefant sich irgendwo scheuert. Dieses Funktionelle finde ich schön, und ich empfinde Achtung vor den Leistungen der Evolution. Nach dreißig Jahren mache ich meine Arbeit genauso gern wie am ersten Tag.

Sie untersuchen den Kot von Zootieren und Tierleichen. Empfinden Sie nie Ekel?

Nein, und dafür bin ich berüchtigt. Heute bei unserem allmorgendlichen Rundgang durch den Tierpark haben wir eine tote Maus gefunden. Da musste ich erst mal eine Geruchsprobe nehmen. Sie stank schon. Das macht mir nun wirklich nichts, aber das ist nicht jedem gegeben.

Haben Sie sich den Ekel abgewöhnt oder noch nie welchen empfunden?

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich mal vor Parasiten geekelt hätte. Nun ja, eine große Ansammlung von Wanzen, die könnte mich schon unangenehm berühren, allein durch ihren Geruch.

Wie wurden Sie denn zum Parasitologen?Haben Sie schon als Kind mit Würmern gespielt?

Nein. Parasitologe werden – das ist kein Kindheitstraum wie Lokführer oder Kapitän oder Pilot werden. Mein Interesse für die Parasitologie war immer verknüpft mit dem für Tiergärtnerei. Ich habe das große Los gezogen, indem ich beides miteinander verbinden konnte. Ich habe Biologie studiert, und da waren wir zu sogenannten Berufspraktika verpflichtet, die ich am Dresdner Zoo, im Berliner Tierpark und in parasitologischen Einrichtungen absolviert habe. Damals schon hat mich fasziniert, welche Vielfalt der Formen wir bei den Parasiten vorfinden. Nicht nur bei ihrem Körperbau, sondern auch in ihrer Lebensweise, in der Spezialisierung auf bestimmte Wirtstiere. Sie finden in der Parasitologie die gesamte Vielfalt des Lebendigen vereinigt. Denn wir können nicht isoliert diesen Wurm und jene Laus betrachten, wir müssen sie immer in Verbindung mit den Wirtstieren sehen.

Wie viele Arten von Parasiten gibt es auf der Welt?

Es werden immer wieder neue Arten entdeckt. Deswegen kann ich keine exakte Zahl nennen, es wäre aber eine sechsstellige. Bei unseren Zootieren hier haben wir es natürlich nur mit einigen wenigen zu tun, die wir beobachten müssen. Das ist ja der Sinn und Zweck unserer Tätigkeit: Wir versuchen, durch Parasiten verursachte Krankheiten zu vermeiden, wir können und wollen die Parasiten nicht ausrotten.

Sie wollen auch nicht?

Nein, sie sind Teil des natürlichen, des ökologischen Gleichgewichts. Es gehört zu der ganz normalen Entwicklung jedes tierischen oder auch menschlichen Organismus, dass er mit verschiedenen Erregern fertig werden muss, mit Viren, Bakterien, Pilzen und eben auch Parasiten.

Die Tierchen, für die Sie jetzt eine Lanze brechen, werden von anderen schlicht als Schädlinge bezeichnet.

Als Schädlinge werden immer nur solche Tiere qualifiziert oder besser disqualifiziert, die unseren Lebensbereich beeinträchtigen. In einem natürlichen ökologischen Gleichgewicht fallen die sogenannten Schädlinge aber überhaupt nicht ins Gewicht. Erst die menschlichen Monokulturen, in der sich diese Tiere rasant vermehren können, bringen das Gleichgewicht durcheinander.

Die Ethnologin Mary Douglas sagt, Schmutz ist nur Materie am falschen Ort. Sind also auch Schädlinge einfach nur Tiere am falschen Ort?

So könnte man es sagen.

Warum ekeln sich dann viele Menschen vor ihnen?

Sehr vieles ist angelernt, aber womöglich nicht alles. Mein jüngster Sohn hat sich schon als Kleinstkind vor Spinnen geekelt, und das geht ihm heute noch so, obwohl er eine sehr enge Beziehung zu Tieren hat.

Das Eklige ist oft auch das Unerwartete. Als Kind wollte ich mal einen Regenwurm retten, der auf einer trockenen Straße lag. Als ich ihn anfasste, merkte ich, dass er tot war, ausgetrocknet. Iiih! Er war nicht eklig, weil er glitschig war, sondern er war ganz besonders eklig, weil er nicht glitschig war.

Manches finde ich auch unangenehm, das gebe ich zu. Nacktschnecken fasse ich auch nicht so gerne an.

Sie haben also auch Ihre Grenzen.

Nein, ich bin nicht gegen alles gefeit. Nacktschnecken werden ja genauso wie Parasiten als Schmarotzer empfunden. Nach dem Motto: Wir schuften, und die machen sich's an unserer Arbeit Früchte gemütlich.

Dabei deutet der Begriff des Parasiten ursprünglich auf etwas anderes. „Parasitos“ hieß im antiken Griechenland der Vorkoster, der am Tisch der Reichen die Speisen testete. Er lebte also von ihrem Überfluss. Auch die Parasiten leben vom Überfluss ihrer Wirtstiere, den meisten Wirten schaden sie nicht. Parasitos ist nur ein Mitessender an einer reich gedeckten Tafel, mehr nicht.