Die Puppenbauerin

■ Mein Laden und ich - Die Samstagsserie der taz-hamburg. Teil 3: Gudy Kopp und ihr Atelier Bühnenreif Von Sven-Michael Veit

Überall Puppen. Zehn Quadratmeter, ein Dutzend Bühnen aus Sperrholz, Samt, Brokat und Tüll, so groß wie ein Fenster oder so klein wie ein Regalfach. Alles voller Puppen: Fingerpuppen, Stabpuppen, Handpuppen, Marionetten; Zauberer, Trolle, Tänzerinnen, Vögel, der unvermeidliche Kasper, eine Trauergemeinde. So groß wie ein einjähriges Kind oder so klein wie der Kopf einer Zahnbürste.

Auf die hat Gudy Kopp auch schon Köpfe modelliert. Die Tochter einer Freundin putzte sich so ungern die Zähne. Mit dem Kobold auf der Rückseite der Bürste verringerte sich die Abneigung gegen diese lästige Pflicht. Vorne schrubben Borsten über Milchzähne, im Spiegel macht ein verschmitztes Gesichtchen Faxen zu den spannenden Geschichten, die die Mutter immer wieder neu erfindet.

Seit sieben Jahren hat Gudy Kopp das „Atelier Bühnenreif“ in der Eimsbüttler Bellealliancestraße, und wieviele Figuren sie seitdem hergestellt hat, weiss sie nicht. Wieviele sie verkauft hat, auch nicht, zu welchen Preisen ebenfalls nicht. „So zwischen 20 und 1000 Mark, das hängt von der Ausführung ab.“ Und wie lange sie braucht, um eine Puppe aus Pappmaché oder Styropor oder Holz oder Stoff zu entwerfen und herzustellen, sie zu bemalen und mit Selbstgenähtem einzukleiden, weiss die Autodidaktin erst recht nicht. „Ich hab' das mal probiert. Hab' mir eine Uhr danebengelegt. Da hab' ich dann immer draufgeguckt ...“ Sie lacht: „Ich kann so nicht arbeiten.“

Ausschließlich Unikate stellt Gudy Kopp her, aber keine von denen, die sie „die schönen, netten Puppen“ nennt. Die seien „nicht spannend“, eher leblos, so wie Schaufensterpuppen eben. Alle ihre Figuren, ob Auftragsarbeit oder Inspiration, haben einen eigenen Charakter, ein individuelles Gesicht, viele eine eigene Geschichte. So wie die drei eineinhalb Meter großen Marionetten, die in der Ausstellung „Zeremoniell und Freiheit“ im Museum für Hamburgische Geschichte (noch bis 19. September) eine Operszene darstellen; so wie auch die Trauergemeinde der „Alten Herren“.

Trotzdem sind die Typen nicht festgelegt, vor allem, wenn Gudy Kopp vor und mit Kindern spielt, in Kitas zum Beispiel. Die Kinder verleihen den Figuren neue Namen und neue Eigenschaften, dann wird aus einem griesgrämig dreinblickenden Gesellen eben Meeresgott Neptun oder der Lehrer. „Die Kinder entwickeln im Nu neue Identitäten“, freut sie sich, „vor allem, wenn wir gemeinsam Puppen bauen.“ Auch mit Erwachsenen hat Gudy Kopp schon Figuren hergestellt, aber das mache nicht so viel Spaß: „Erwachsene wollen meist gleich perfekt sein“, da stehe häufig das Handwerkliche höher als die Phantasie.

Aber ohne die geht gar nichts, sagt die 43jährige, die mal Pantomimin gelernt hat, auf privaten Schauspielschulen in Hamburg und in Paris. Nach mehreren Fußverletzungen mußte sie damit aufhören. Irgendwann kam Gudy Kopp dann auf die Idee mit den Puppen. Das sei kein weiter Weg, „die Charaktere sind ähnlich, und auch Puppen sprechen nicht“. Sie müssen zum Sprechen gebracht werden, durch Bewegungen, vor allem aber durch Vorstellungskraft.

Zum Beispiel die 24 „Alten Herren“ der Trauergemeinde. Sie sind die Freunde des Herrn Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, und zu seinem Begräbnis sind sie nach vielen Jahren erstmals wieder zusammengekommen. Vornehme Herren fortgeschrittenen Alters, mit Vatermörder, Zylinder und Spazierstock. Pastoren, Lehrer, Advokaten, Apotheker, ein Dirigent – ein Freundeskreis, den der brandenburgische Gutsbesitzer gehabt haben könnte.

Als Kind schon, sagt Gudy Kopp, habe dieses Gedicht von Theodor Fontane sie fasziniert, und sie habe sich immer gefragt, „was vor dem Gedicht, vor dem Tod des Herrn Ribbeck und dem Grab mit dem Birnbaum“ gewesen sein könnte.

Also hat sie Bücher und Unterlagen und Chroniken durchforstet, hat sich mit dem preußischen Landjunkertum beschäftigt, und dann hat sie diese Puppen geschaffen.

Vor wenigen Wochen erst ist Gudy Kopp in Ribbeck gewesen, am Grab des Herrn Ribbeck auf Ribbeck im Havelland. „Sein Birnbaum“, lächelt sie, „steht da leider nicht mehr.“

Atelier Bühnenreif, Theaterpuppen & Projekte, Bellealliancestr. 40, 20259 Hamburg, nicht immer geöffnet, deshalb besser telefonische Vereinbarung: 430 48 07.