Poetische Leitklänge der Zukunft

■ Viel Stille: Rainald Goetz' „Jeff Koons“ als Hörspiel-Version

Für den Dezember hat das Hamburger Schauspielhaus die Uraufführung des neuen Stückes von Rainald Goetz angekündigt. Stefan Bachmann will „Jeff Koons“ inszenieren, einen rasenden Wortschwall über die heilende Kraft der Techno-Musik. Dieses Thema bestimmt Goetzens gesamte neuere Produktion: Er hat es bereits in einer Erzählung (“Rave“), einem Fotoroman (“Celebration“), bei seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen und im Rahmen einer persönlichen Website (“Abfall für alle“) variiert. Immer beschwört er den Rhythmus des „Bumtcha Bumtcha“ als eine Art Breitband-Therapie. Das unbeirrte Gleichmaß der Beats ist ihm Ausdruck von Lebenskraft und Bejahung – probates Gegenmittel zu jenem „Neinsager“-Ton, den man besonders aus deutschen Dichtstuben hört.

Heute abend kann man sich „Jeff Koons“ – als „Hörspiel des Monats“ im Deutschlandfunk. An den Beginn hat Regisseur Oliver Sturm einen Mix aus Bachmann-, Celan- und Walser-Zitaten gesetzt: ein anschwellend schläfriger Dichtergesang, der im Autounfall endet. Von solchen Sounds sollen sich Hörer und Leser mit Sprachtrendbewusstsein verabschieden. Zur Gegenorientierung sind ihnen statt dessen siebzig Minuten lang die poetischen Leitklänge der Zukunft zusammengestellt: Dialoge in Diskotheken, Liebesgeflüster beim Geschlechtsverkehr, schließlich der titelgebende Künstler Koons bei der lautmalenden Verfertigung seiner Gedanken. Ob diese Fragmente einen inhaltlichen Zusammenhang haben sollen, bleibt ein Geheimnis. Klar wird aber, dass sich die Akteure sämtlich in einem Zustand tiefer Zufriedenheit befinden, darum formen sie Sätze im Wechsel von senkenden und hebenden Silben: dies denkt Goetz sich als lyrische Analogie zum lebensfrohen Viervierteltakt der Techno-DJs.

Man könnte diesen Versfuß auch schlicht Trochäus nennen. Egal: Die Kombination von sprachlichem Gleichmaß und popkulturellen Zitaten hat ein paar reizvolle Momente – zumindest in der Lesefassung des Textes. In der Hörspielbearbeitung sind aber sämtliche Bezüge auf Techno-Rhythmus und –Genre getilgt. Statt der durchgehend wummernden Bässe, die man bei der Lektüre imaginiert, gibt es bloß kurze Samples von verzerrten Gitarren, flirrende House-Hi-Hats und Disco-Schlager, die aus einem Kofferradio kommen könnten. Dazwischen ist viel Stille: So fehlt dem Text jeder rhythmische Halt, der über die inhaltliche Leere hinwegtäuschen könnte. Weil den Sounds zudem das Volumen abgedreht ist, können sie die zusammenhanglosen Fragmente zu keiner Einheit verschmelzen.

Ob dies aus Ahnungslosigkeit oder Bosheit geschehen ist: Oliver Sturms müde „Jeff Koons“-Interpretation stellt vor allem die dramaturgischen Mängel des Textes bloß – und die Schamlosigkeit, mit der sich Goetz auf ablenkende Orchestrierung und zerstreute Zuhörer verläßt. Darum wünscht man sich vor allem jene Dramaturgen vors Radio, die das Stück in der nächsten Saison auf die Bühne bringen wollen; neben dem Schauspielhaus haben es noch drei weitere Theater in ihr Programm aufgenommen. Noch ist es nicht zu spät, die Spielpläne zu überdenken. Jenz Balzer

Deutschlandfunk, 20.05 Uhr