Kontrolle ist besser

Eduard Neumann verdient sein Geld damit, auf St. Pauli in Müllbeuteln zu wühlen und ihre Eigentümer zu ermitteln  ■ Von Gernot Knödler

Ein knapper Schlag mit der behandschuhten Rechten, und der blaue Müllsack platzt auf. Mit spitzen Fingern fummelt Eduard „Ede“ Neumann Groschenhefte und Schmierzettel mit feuchten Flecken zwischen Tempotaschentüchern und Zigarettenkippen hervor. Dildos und anderer „Schweinkram“ sind auch mal dabei. Eine Werbesendung mit Adresse wirft er auf den Boden seines VW-Busses. Dann packt Ede den Müll wieder ordentlich zusammen, macht ein Polaroid-Foto und fährt weiter.

Ede Neumann ist eine Art Müllpolizist. Als einer von sechs „Ent-sorgungskontrolleuren“ der Hamburger Stadtreinigung (HSR) sorgt der 57jährige mit dem wallenden Haar dafür, dass der Müll auf dem Kiez nicht überhand nimmt. Viele Leute aus den Wohnstraßen rund um die Reeperbahn ärgern sich darüber, dass ihr Viertel vor allem nach den Wochenenden voller Bierdosen und Pommesschalen liegt.

Dazu kommt der Abfall, der bei den Kneipen, Hotels und Gemüseläden nicht mehr in die Tonne passt oder in nicht lizensierten Plastiksäcken aus anderen Vierteln hier abgeladen wird. Nur in St. Pauli und St. Georg fahren Ede und seine Kollegen regelmäßig Streife. „Hier herrscht die größte Verdreckung“, sagt der Mülldetektiv.

Die Polaroid-Fotos, die sich auf dem Weg übern Kiez auf dem Armaturenbrett von Edes Büslein sammeln, dienen der Beweissicherung. Denn damit aus den illegalen Mülldepots am Straßenrand nicht große Haufen werden, nimmt sie der Trupp Straßenfeger, der Besen schwingend durch die Straßen tobt, noch am selben Morgen mit.

Früh um sieben ist sonst noch wenig los auf dem Kiez. Kaum Verkehr auf der Reeperbahn, an einem Trafokasten lehnen junge Männer und überlegen sich, ob sie nicht langsam mal nach Hause gehen sollten. Auf dem Gehsteig schlafen Penner inmitten ihrer Habseligkeiten.

In der Silbersackstraße steht, an eine Hauswand gelehnt, wieder so ein ominöses Mülldepot. Die Säcke sind blau oder weiß, statt gelb, wie die mit dem Grünen Punkt, oder rosa, wie die von der Stadtreinigung. Turboverdächtig: Es steht auch ein grauer von der Straßenreinigung mit dabei. An den kommt ein Privatmann eigentlich nicht heran, denn er wird nicht verkauft, es sei denn unter der Hand.

Ede ist eine gepflegte Erscheinung: Er trägt eine schwarzblaue neue Edwin-Jeans und eine türkisgrüne aufgekrempelte Jeansjacke. Sein gebräuntes Gesicht kontrastiert famos mit dem fülligen grauen Haar. Um die Mundpartie herum sieht er aus wie Hardy Krüger. Jetzt steigt er die Stufen zum Zigarettenladen nebenan hoch und muss feststellen, dass seine diplomatischen Fähigkeiten gefragt sind.

Die rundliche Frau hinterm Tresen ist voll im Brast. „Kommen Sie doch mal wieder, wenn der Chef da ist“, mault sie. „Jedesmal werd' ich angesprochen, das kotzt mich an!“ Ruhig schildert ihr Ede den Frust seines hartnäckigen Kollegen. „Soll ich mich für ihn entschuldigen?“, fragt er zum Schluss. „Nö, soll er selber machen“, kommt es schmollend zurück.

Dass die Müllsünder handgreiflich werden, kommt auch auf St.Pauli nicht vor. Sie werden manchmal frech, wie Ede erzählt. Doch der stämmige Müllkontrolleur hat keine Angst. 30 Jahre lang ist er hinten auf dem Müllauto mitgefahren. Tausende der alten Eisen-Eimer hat er aus Kellern geholt.

Bei der Dienstbesprechung in der HSR-Zentrale in Rothenburgs-rt gibt Ede seine ersten Erkenntnisse über die Müllsünden-Lage weiter. Bei einem Körnerbrötchen mit Tomate erfährt er, dass der Chef des Zigarettenlädchens verwarnt wurde und wohl auch schon mal die 75 Mark Nachgebühr pro Kubikmeter gezahlt hat.

Zurück auf dem Kiez versuchen wir, den Inhaber zu erwischen. Um halb elf ist der immer noch nicht da und ein verängstigter schwarzer Angestellter radebrecht, der Chef komme vielleicht abends. „Kannst ihm sagen, er soll morgen mal um acht da sein“, lässt Ede ausrichten.

So wenig erfolgversprechend wie das klingt, ist die Arbeit der Mülldetektive statistisch keineswegs. In den fünf Jahren seit es sie gibt, sei „der ganze Dreck bestimmt um 70 Prozent zurückgegangen“, schätzt Ede. Laut Statistik wird die Hälfte der Sünder erwischt.