Die Poesie der Visitenkarte

■ Das junge Designer-Duo Annett Lehmann und Jens Kaschlik: Ob Messestand oder Zaharztpraxis - gerne Betreuen sie ihre Projekte von der Raumgestaltung bis zur Graphik

Es ist es weder Objekt, noch Möbelstück - vielleicht ein wenig Architektur. Wie eine gigantische Ohrmuschel sieht die Konstruktion aus der Vogelperspektive aus: Der Messestand für die Sendung Radio Rock, den der Designer Jens Kaschlik 1996 anläßlich der Rundfunkmesse in Halle für den Sender MDR-Sputnik gebaut hat.

Vor den geschwungenen, verschiedenfarbig illuminierten Stellwänden sind Hocker und Kopfhörer angebracht. Orte, an denen sich der Besucher in aller Ruhe von Werbung oder Musik berieseln lassen kann. „Der Messestand ist mittlerweile ein wichtigeres Betätigungsfeld für Designer geworden,“ erklärt Kaschlik. Vorbei ist die Zeit, in der sich junge Firmen mit gemieteten Systemkisten präsentierten und vornehmlich öde Landschaften aus Spanplatten und Stahl die Verkaufshallen entstellten. Schließlich ist die Messe heutzutage ein wichtiger Bestandteil des Marketings: „Je stärker sie als Forum neuer Präsentationen genutzt wird, desto wichtiger wird auch der Designaspekt für die Darstellung einzelner Firmen“, haben Kaschlik und seine Lebensgefährtin und Partnerin Annett Lehmann erkannt. Die Messe gilt heutzutage alseine Trendveranstaltung, in der sich vor allem neue Unternehmen ein frisches Outfit geben wollen, um sich von der Konkurrenz abzuheben. „Die Vorgehensweise in der Gestaltung entspricht ein wenig der der Interieureinrichtung,“ meinen Kaschlik und Lehmann, „sie ist nur modischer.“

Das Entwerfen von Messeständen ist jedoch nur ein Bereich im Betätigungsfeld des Designer-Duos aus Thüringen, das übrigens auch privat ein Paar ist. Jens Kaschlik arbeitete nach seinem Industrie-Design-Studium in Halle als freier und fester Mitarbeiter in verschiedenen Architektur- und Designbüros in Berlin, Leipzig und Jena.

Annett Lehmann machte vor ihrem Studium an der Fachhochschule für Kunst im Bereich Holzgestaltung in Schneeberg bei Dresden eine Ausbildung als Holzmodellbauer. Ein Praktikum bei der Möbeldesign-Firma „Lisar“ und dem Designstudio „Santachiara“ in Mailand brachten ihr neue Erkenntnisse: „Das italienische Design ist weniger vom Formalismus geprägt, als das deutsche. Es ist poetischer. Allein der Umgang mit Design ist in Italien viel selbstverständlicher, als bei uns. Dort gab es den Begriff 'Design' vor zehn Jahren noch gar nicht - das Entwerfen von Möbeln oder anderen Produkten haben die Architekten übernommen.“ Beim Möbeldesign gingen die Architekten stets vom Gesamtkonzept aus. Der Bezug zwischen Möbelstück und Umfeld war dabei immer ein wichtiger Aspekt.

Eine Betrachtungsweise, die Lehmann und Kaschlik - die bereits seit 1996 gemeinsam entwerfen - bei allen aktuellenArbeiten berücksichtigen. Ob sie nun das Interieur einer Bar in Mitte gestalten, die Lobby des East-Side-Hotels in der Mühlenstraße, eine Zahnarztpraxis für Kinder oder - wie in letzter Zeit des öfteren geschehen - das Cover einer CD. Gerne betreuen sie ihreProjekte als Gesamtkonzept - das heißt, sie entwerfen die gesamte Raumkonzeption selber, Konzipieren die Beleuchtung, übernehmen den Entwurf dominanter Möbelstücke bis zur Graphik von Briefkopf und Visitenkarten.

Bislang arbeiete das Paar ausschließlich freiberuflich im heimischen Büro in Mitte, zwischen Wickeltisch und Wohnzimmer, doch das soll sich ab Herbst ändern. Denn dann wollen sie ein eigenes Designbüro eröffnen und im Bereich Produktdesign fest mit Art Kontor cooperieren, einer bereits international etablierten Firma aus dem Thüringischen mit Hauptsitz in Jena und Filialen Frankfurt (Main) und China. Ein bißchen Unabhängigkeit wollen sie sich dennoch wahren: „Ergänzend zur Arbeit mit der Firma wollen wir jedoch unser altes Konzept verfolgen,“ sagt Kaschlik. Das heißt: Interieur und Messedesign. Kirsten Niemann