Hertha BSC will an die europäischen Fleischtöpfe

■ Zum Saisonstart hat der Verein 18,8 Millionen Mark in neue Spieler investiert

Einer hat sich bereits festgelegt, obwohl man gerade in dieser Sportart mit Prognosen sehr vorsichtig sein sollte: Axel Kruse, einstmals Stürmer beim Fussball-Bundesligaverein Hertha BSC, bläst von der Spree zur Attacke auf den Rest der Liga. „Die Qualifikation für die Champions League müsste wieder drin sein“, sagt Kruse und setzt noch eins drauf: „Hertha wird Meister.“ Es stehe zwar eine schwere Saison bevor, meint der ehemalige Fussballer, „aber Hertha hat sich gut verstärkt, auch in meinem früheren Metier, im Sturm.“

In der Tat sind es nicht nur die Ergebnisse der vergangenen Spielrunde, nämlich Platz drei in der Liga und Teilnahme im Europapokal, die bei Hertha-Fans die Träume vom Meistertitel 2000 und Angriff auf die europäischen Geldtöpfe nähren. Der Verein, bekannt dafür, kickende Auslaufmodelle mit horrenden Summen an Berlin zu binden, hat diesmal kühl mit Neuverpflichtungen kalkuliert. „Wir haben uns qualitativ verstärkt“, betont Trainer Jürgen Röber. Effizienz statt Effekt soll das Spiel der Mannschaft prägen.

Die 18,8 Millionen Mark für Transfers flossen daher nicht in einen renaldoverdächtigen Superstar, sondern in fünf Neuzugänge, um die Defizite im Team zu verbessern. Ali Daei (5,3 Millionen Mark) von Bayern München soll Torjäger Michael Preetz die Vorlagen geben und selbst vollstrecken, ebenso Kai Michalke, der ablösefrei vom VfL Bochum kam.

Auch Herthas größtes Problem, eine unstabile Abwehr mit zum Teil regionalligaartigen Einbrüchen im Zweikampfverhalten, haben Röber und Manager Dieter Hoeness entschärft. Abwehrstar Marco Rehmer (7 Millionen) von Hansa Rostock und Kostas Konstantinidis (2,5 Millionen) von Panathinaikos Athen sind schnelle Abwehrrecken. Hinzu kommt Jungstar Sebastian Deissler (4 Millionen) von Möchengladbach, ein Mittelfeldspieler „mit ungeheuren Potenzen“, wie der Trainer meint.

„Think big“ – das ist das Motto, das der Verein für die kommende Saison ausgegeben hat. Nach Ansicht von Hertha-Präsident Walter Müller bedeutet „Hertha 2000“ in erster Linie die Akkumulation von Kapital durch professionelles Fussballgeschäft. „Wir wollen Hertha in der deutschen Eliteliga etablieren und zu einem Club von europäischer Bedeutung machen“, erklärt Müller.

Worauf der Präsident setzen kann, sind massenhaft Zuschauer aus der Stadt sowie dem Umland. Die Konkurrenten Tennis Borussia sowie der FC Berlin und Union aus dem Ostteil der Stadt rangieren Klassen tiefer. Schließlich hat die Champions-League-Teilnahme ein Fieber am Dauerkartenschalter ausgelöst, das dem Kassenwart schon jetzt rund 1,5 Millionen Mark in die Taschen spülte.

Hinzu kommt, dass der Aufsichtsrat den Gang an die Börse freimachte. Der Vorstand von Hertha BSC will sich im Herbst von den Mitgliedern die „Komanditgesellschaft auf Aktienbasis“ absegnen lassen. Was bedeutet: Man will an die ganz großen Fleischtöpfe im Fussballgeschäft heran, dort wo Bayern München, FC Barcelona, Manchester United oder Inter Mailand sitzen.

Die finanziellen Strategien sind freilich keine Garantie für einen Titel. Weil der Erfolg auf den grünen Rasen nicht kaufbar ist, sondern erarbeitet und erspielt werden muss, tritt Röber geschickt auf die Euphoriebremse – um zugleich einen Gang zuzulegen. Für den Titel kämen in der kommenden Saison die Bayern oder Dortmund in Betracht, Hertha kämpfe „um Plätze für die internationalen Cups“. Alles andere sei realitätsferne Utopie. Doch Röber ist ehrgeizig genug, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Mit einem großen Kader von fast 30 Spielern, darunter 16 Nationalkickern aus 10 Ländern, hat er innerhalb der Mannschaft den Druck enorm erhöht. „Nur die Trainingsbesten“ dürfen dribbeln. Feste Bänke gibt es nicht mehr. Was zählt, ist der Erfolg. Rolf Lautenschläger