Allgemeine Theorie über die Moral der Sterne

■ Von der Schöpfung im ganzen Umfange ihrer Unendlichkeit: Die Bewohner der Gestirne

Das Weltgebäude setztet durch seine unermeßliche Größe, und durch die unendliche Mannigfaltigkeit und Schönheit, welche aus ihr von allen Seiten hervorleuchtet, in ein stilles Erstaunen. Wenn die Vorstellung all dieser Vollkommenheit nun die Einbildungskraft rühret: so nimmt den Verstand anderer Seits eine andere Art der Entzückung ein, wenn er betrachtet, wie soviel Pracht, so viele Größe aus einer einzigen allgemeinen Regel, mit einer ewigen und richtigen Ordnung, abfließet. Der planetische Weltbau, indem die Sonne aus dem Mittelpunkte aller Kreise, mit ihrer mächtigen Anziehung, die bewohnten Kugeln ihres Systems in ewigen Kreisen umlaufend macht, ist gänzlich aus dem ursprünglich ausgebreiteten Grundstoff aller Weltmaterie gebildet.

Indessen sind doch die meisten unter den Planeten gewiß bewohnt, und die es nicht sind, werden es dereinst werden. Was vor Verhältnisse werden nun, unter den verschiedenen Arten dieser Einwohner, durch die Beziehung ihres Ortes in dem Weltgebäude zur Sonne verursachet werden? Der Mensch, welcher unter allen vernünftigen Wesen dasjenige ist, welches wir am deutlichsten kennen, ob uns gleich seine innere Beschaffenheit annoch ein unerforschtes Problema ist, muß in dieser Vergleichung zum Grunde dienen. Was vor Einschränkungen leidet das Vermögen, vernünftig zu denken durch die dem Abstande von der Sonne proportionierte Beschaffenheit der Materie, an die der Mensch geknüpfet ist?

Doch wer zeiget uns die Grenze, wo die gegründete Wahrscheinlichkeit aufhöret, und die willkürlichen Erdichtungen anheben? Wer ist so kühn, eine Beantwortung der Frage zu wagen: ob die Sünde ihre Herrschaft auch in den andern Kugeln des Weltbaus ausübe, oder ob die Tugend allein ihr Regiment daselbst aufgeschlagen? Immanuel Kant

Gekürzter Auszug aus: „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels“, 1755