Kein Pardon für die Dissidenten in China

■ Peking nutzt die internationale Lage, um hart gegen die Dissidentenszene vorzugehen

Berlin (taz) – Während die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit auf Pekings Vorgehen gegen die Falun-Gong-Sekte und die jüngsten Spannungen mit Taiwan gerichtet ist, geht Chinas Regierung mit unverminderter Härte gegen politische Dissidenten vor. Allein in dieser Woche erhielten nach Angaben aus Menschenrechtskreisen vier chinesische Oppositionelle langjährige Haftstrafen.

Gestern wurde der 31-jährige Liu Xianbin zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Gericht der Stadt Suining in der Provinz Sichuan befand ihn nach Angaben seiner Frau für schuldig, im Oktober eine Provinzorganisation der inzwischen verbotenen Demokratischen Partei gegründet zu haben. Ihm wurde auch vorgeworfen, eine regierungskritische Zeitschrift herausgegeben und Kontakte zu Menschenrechtsorganisationen und Dissidenten im Ausland zu haben.

Bereits am Mittwoch war der 41-jährige She Wanbao in Guanyuan, ebenfalls in Sichuan, zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Auch er war Aktivist der Demokratischen Partei. Er wurde eines Umsturzversuchs für schuldig befunden. Zusätzlich zur Haft wurden ihm die Bürgerrechte für drei weitere Jahre aberkannt. She und Liu hatten bereits nach der gewaltsamen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 jeweils vier und zwei Jahre im Gefängnis verbracht.

Bereits am Montag waren die Dissidenten Gong Hongming und Zha Jianguo zu Haftstrafen von acht und neun Jahren verurteilt worden. Die Urteile dieser Woche sind die härtesten seit Verurteilung der Gründer der Demokratischen Partei Xu Wenli, Wang Youcai, Qing Yongmin im Dezember zu Strafen von 11 bis 13 Jahren.

Seit der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad am 8. Mai hat der Druck westlicher Staaten auf Peking zur Einhaltung der Menschenrechte deutlich nachgelassen. Denn westliche Politiker müssen seitdem damit rechnen, sich selbst des massiven Vorwurfs von Menschenrechtsverletzungen auszusetzen. Als Reaktion auf den Botschaftsangriff hatte Peking den Menschenrechtsdialog ohnehin ausgesetzt. Nach Angaben des Hongkonger „Informationszentrums für Menschenrechte und Demokratiebewegung in China“ sind seit Mai neun Angehörige der zweiten Führungsebene der Partei zu langjährigen Haftsrafen verurteilt worden. Im gleichen Zeitraum seien 190 Dissidenten verhaftet worden, von denen jetzt noch 65 in Haft oder unter strenger Aufsicht seien. Sven Hansen