Krankheits-Bilder

„Psyche und Kunst“: Eine Ausstellung im Völkerkundemuseum versucht den Bruch mit der Exotisierung psychotischer Produktion  ■ Von Hajo Schiff

Die Wilden werden ohnehin mit einem Völkerkundemuseum assoziiert, nun auch noch die Verrückten. Denn die Begleitausstellung zum zur Zeit in Hamburg stattfindende XI. Weltkongress der Psychiatrie findet im Museum für Völkerkunde statt. Was zuerst wie eine ungeschickte Notlösung erscheint, erweist sich als kluger Schachzug. Über Vorurteile können beide, die Völkerkunde und die Psychiatrie, sich sowieso nicht beklagen. Dabei hat sich am Beginnn der Moderne die Kunst in hohem Maß gerade von exotischen Produkten inspirieren lassen, und zeitweilig galt Verrücktheit geradezu als Bedingung künstlerischer Produktion und der Wahnsinn als der wirkliche Quell des Genies. Bis heute glauben viele, van Gogh sei ein toller Maler, weil er sich am Ohr herumgeschnippelt hat. Dabei ist es der Kunst wichtig, hier ein „obwohl“ zu setzen. Ob dann später dem „Neger“ nur im Kollektiv eine unbewusste Kreativität zugesprochen wurde oder der „Bildnerei der Geisteskranken“ mit eine Mischung aus Faszination und Schauder begegnet wurde, die jüngere Geschichte ist voll mit eindeutigen Erklärungsversuchen gegenüber dem Anderen, die ihrerseits eindeutig wahnhaft sind. Und gar in der Verquickung mit der politischen Macht konnte in Deutschland die Feststellung einer krankhaften „Entartung“ der Kunst zu schlimmen, gar tödlichen Folgen führen.

Wenn Hans-Otto Thomashoff nun erneut das Thema Psyche und Kunst angeht, so ist er als Psychiater und promovierter Kunsthistoriker nicht nur besonders dazu qualifiziert, er gehört auch einer deutlich jüngeren Generation an als diejenigen, die nach 1945 über den Informel, die Kunst der gestischen Expression und die Art Brut den Zugang zu den Bilder von Anstaltsinsassen fanden. Dem in Wien lebenden Kölner ist eher der erweiterte Kunstbegriff von Beuys wichtig als beispielsweise spezielle Untersuchungen über einen typisch schizophrenen Stil. Der ist als ausweglos enges Auffüllen des Bildraumes zwar beschreibbar und in der Ausstellung auch gut wiedererkennbar, doch werden solche Klassifikationen spätestens dann obsolet, wenn die Schizophrenie selbst als eindeutiges Kranheitsbild in Frage gestellt werden muss.

Sagt Beuys „Jeder Mensch ein Künstler“, so meint er das in jedem vorhandene künstlerische Potential, keineswegs aber schwebte ihm die Teilnahme aller am Kunstbetrieb vor. Künstlerische Techniken können in der Therapie hilfreich sein, was von den Produkten dann aber warum von wem als Kunst gewertet wird, ist eine ganz andere Frage.

Selbstverständlich ist nicht jede malerische Äußerung Kunst, sowenig auch jeder erklärte und akademiegeprüfte Künstler gut ist. Ist ein Künstler nun aber krank, sollte das als Teil seiner Biografie angesehen werden und bewirkt noch lange keine kranke Kunst. Überhaupt können bei einem konventionellen System wie der Kunst die Kriterien nicht objektiv auf Dauer festgelegt sein. Die Kritik muß sie in ständiger Auseinandersetzung stets neu erarbeiten. Das gilt übrigens genauso für die Unterscheidung von „normal“ und „verrückt“ – mit ein Grund für die Faszination der Psychologen und Psychiater an der Kunst.

Die Autonomie der Kunst, ihre gesetzlich gesichterte Freiheit und der unbedingte Vorrang des künstlerischen Konzepts scheinen allerdings unvereinbar mit einer psychotischen Produktion. Doch auch bei diesen Forderungen ist vor zu rigidem Umgang mit der Gefühlswelt zu warnen: „Ich glaube nicht, dass der Mensch sich von seiner Psyche befreien kann“, sagt Ausstellungskurator Hans-Otto Thomashoff nachsichtig lächelnd, bevor er noch auf die besonderen Aspekte im Umgang mit der gezeigten Kunst hinweist.

Erstmals sind ganz verschiedene Kulturkreise vertreten, Bilder aus Japan und Italien, Polen und Peru sind dabei. Sie rütteln noch an einer anderen Konvention: Vielleicht ist die immer angenommene enge Verbindung von Kunst und Herkunftsland des Künstlers auch nur so eine Fiktion wie die Unterscheidungzwischen normal und verrückt. So erweist sich das Völkrkundemuseum eben doch als der richtige Ort für den Abbau von Ängsten vor dem Umgang mit dem Fremden und Anderen.

„Psyche und Kunst“, Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchausee 64, bis 17.10.99