Der Trainer will mehr Trainer haben

taz testet die Liga (VIII): Bayer Leverkusen will nicht als Zaubermannschaft der Saison gefeiert werden, sondern endlich den Meistertitel gewinnen    ■ Von Katrin Weber-Klüver

Wird Fußball gespielt?

Ja. Es gibt sogar Stimmen, die ihn als den attraktivsten der Liga loben. Leverkusen spielt technisch ansprechend, dynamisch dazu und mit spielerisch glänzenden Offensivanlagen. Wenn es Schwachpunkte gibt, dann am ehesten in der Defensivabteilung, deren Destruktionspotential ausgeprägter ist als die Fähigkeit, das Offensivspiel zu eröffnen. Trainer Christoph Daum sagt: „Ich habe keine Lust, dass wir hinterher als die Zauberer der Saison abgefeiert werden. Wir müssen die Kombinationsformel attraktiv und ergebnisorientiert verinnerlichen.“

Gibt es ein System?

Nach zwei Dritteln der vergangenen Saison stellte Daum das System vom 3-5-2 auf 4-3-3 um. Er tat es im Handstreich und ohne es den Spielern genau zu erklären. Weil das Team also gar nicht merkte, dass es des konventionellen Liberos beraubt war, klappte es mit der Viererkette recht flott. Und vorn spielte sich Kirsten als alleiniger Mittelstürmer in eine Art Torrausch. Im Bedarfsfall wird es kein Problem sein, auf 4-4-2 mit Neuzugang Neuville und Kirsten in der Spitze oder eine Defensivvariante mit Nowotny als Libero umzustellen.

Wer hilft?

Sollte es psychische Probleme geben, etwa, dass ein Torwart Angst vor dem Spiel mit dem Fuß hat oder ein Stürmer verzweifelt, weil er das Tor nicht mehr trifft, hilft ab jetzt der PTT. Das heißt Personal Team Trainer. Diese Staberweiterung durch einen Diplompsychologen ist erst der Anfang. Der Cheftrainer ist überzeugt, dass die Trainings- und Betreuungsarbeit weiter ausdifferenziert werden muss. (Daum: „Individualisierung ist eine der großen Veränderungen im Fußball.“) Er denkt zum Beispiel an einen zusätzlichen Stressberater sowie an Trainer, die auf Defensive, Offensive oder Standardsituationen spezialisiert sind. Wenn die Bayer-Spieler ob der Betreuungsflut ermatten, können sie zu ihrem guten alten Physiotherapeuten Dieter Trzolek gehen und sich bei dem unter die Sauerstoffdusche legen.

Wer stört?

Der Confederations-Cup. Für den bizarren Wettbewerb musste kein Verein der Welt so viele Spieler abstellen wie Bayer, nämlich sechs: die Neuzugänge Neuville, Ballack und Schneider für Deutschland, Emerson und Zé Roberto für Brasilien, Hejduk für die USA. Sie konnten ebenso wenig am Vorbereitungsprogramm teilnehmen wie der verletzte Beinlich.

Taugt der Trainer?

Da kann man gleich fragen: Taugt Leverkusen? Bayer ist mit Daum zweimal Vizemeister und einmal Dritter geworden. Zudem hat der Trainer Talent als Entertainer, würde selbst seine Einfälle aber lieber als seriöse Pionierarbeit gewürdigt sehen. Sein diesjähriger Sommercoup war der Scherbenhaufen. 20 Spieler unterzogen sich – freiwillig – einem mentalen Training zur Förderung ihrer Leistungsbereitschaft. Abschließend gingen sie als praktische Übung über Scherben und sprachen dabei: „Ich heiße ... und gehe aus eigener Verantwortung über diese Scherben, um mein Ziel zu erreichen.“ Daum ging auch. Er sagt: „Ein absolutes Aha-Erlebnis.“

Taugt der Torwart?

Adam Matysek ist das Gegenteil von seinem hyperaktiven, zappeligen Trainer, nämlich immer die Ruhe selbst, auch und gerade dann, wenn er in brenzlige Situationen gerät. Würde der Pole mehr Faxen machen, wäre er dank seiner Paraden und Reflexe wahrscheinlich Publikumsliebling. Aber er macht nun mal einfach nur seinen Job.

Was tun die Neuen?

Neuville, Schneider und Ballack erholen sich von ihrem Mexiko-Ausflug. in Abwesenheit von Beinlich hat Ballack jüngst bei einem Testspiel gegen den AC Mailand (2:3) geübt, im Mittelfeld Anweisungen zu geben. Der Brasilianer Ponte erholt sich mutmaßlich noch vom Schrecken, den unweigerlich bekommt, wer Leverkusen das erste Mal betritt und sich in eine Chemie-Polis geraten sieht, die nur aus Autobahn- und Bayer-Kreuzen zu bestehen scheint.

Wie schießt man Tore?

Indem man dafür sorgt, dass Kirsten den Ball bekommt.

Wer ist der Beste?

Emerson könnte es werden, wenn ihn die fehlende Sommerpause nicht frühzeitig erschöpft, sondern der Gewinn der Südamerikameisterschaft motiviert. Gleiches gilt für Zé Roberto. Daum: „Das sind junge Menschen, wenn die mal ein Jahr durchspielen, ist das ein tolles Erlebnis für ihr ganzes Leben.“

Folge?

Leverkusen ist ein Meisterkandidat. Nur hat das Team auch ohne Vorbereitungsprobleme einen notorischen Startkomplex. Daum: „Ich wollte letzte Saison Meister werden, nun auf ein Neues. Und wenn es in dieser Saison nicht klappen sollte, versuchen wir es eben im nächsten Jahr wieder.“

Gefühlter Tabellenplatz: 1