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Für manche ist es nur Alibi

Kampagne gegen Diskriminierung der Schizophrenie wird nicht nur gelobt  ■ Von Peter Ahrens

Die einen reden von echter Hilfe, die anderen nennen es Alibi-Veranstaltung. Beide reden von derselben Sache: der weltweiten Kampagne, die gegen die Diskriminierung psychisch Kranker, vor allem schizophrener Menschen, vorgehen will. Diese Kampagne wurde gestern auf dem Hamburger Weltkongress der Psychiatrie vorgestellt. Von offizieller Seite hochgelobt, wird die Aktion von Patientenorganisationen als Schaukampf abgetan.

Guten Willens sind alle. Am Eingang des Kongresses werden kleine Anstecker verteilt, auf denen steht: „Schizophrenie – öffnet die Türen.“ Professor Wolfgang Gaebel aus Düsseldorf, einer der führenden deutschen Schizophrenie-Forscher, spricht davon, „Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzubringen“. Und der Vorsitzende des Komitees, das den Kongress vorbereitet hat, Professor Norman Sartorius, verkündet gar: „Die Welt ist bereit dafür.“

Ob die Betroffenen selbst bereit sind, wird zumindest von ihren Funktionären bestritten. „Die Psychiater tragen selbst zu der Stigmatisierung der Leute bei, die sie angeblich bekämpfen wollen“, sagt ein Vertreter der Patientenorganisationen, die auch die Gegenveranstaltung zum Weltkongress am vergangenen Wochenende geplant haben. Indem man Menschen als Kranke bezeichnete, würden sie „pathologisiert“, lautet sein Vorwurf. Außerdem seien die Organisationen, die sich die Patienten selber gegeben haben, in die Vorbereitung und die Umsetzung der Kampagne kaum eingebunden. Die groß angekündigte Aktion sei daher „lächerlich“.

Das sehen die Offiziellen vom Weltverband der Psychiatrie (WPA) natürlicherweise ganz anders. Die Vorwürfe seien „provozierend und politisch-ideologisch“, sagt Gaebel. Es gehe dem WPA allein darum, „den Teufelskreis der Stigmatisierung und Diskriminierung von Schizophrenen zu durchbrechen“. Und das wolle man erreichen, indem man überall in der Welt lokale Zentren aufbaut, in denen über die psychische Erkrankung wissenschaftlich geforscht und gearbeitet wird. In Deutschland soll es sieben dieser Zentren geben, drei davon im Norden, in den Städten Hamburg, Kiel und Itzehoe.

Von den Zentren aus will man vor allem an die Öffentlichkeit gehen. „Die Medien tragen dazu bei, dass Psychosen und Schizophrenie als abnorm und krankhaft gesehen werden“, sagt Emma Harding, bei der selbst Schizophrenie als Krankheit diagnos-tiziert wurde. Sie ist eine von den Betroffenen, die die Kampagne gut finden und unterstützen.

Bedenken, wie sie von der Patientenorganisation geäußert werden, hat auch die Kanadierin Fay Harrick nicht, deren Sohn schizophren ist. „Vor zehn Jahren haben wir das Wort Schizophrenie nur geflüstert“, sagt sie. In Zukunft müsse es möglich sein, offen mit der Krankheit umzugehen und offen über sie zu reden, ohne gleich als verrückt eingestuft zu werden.

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