Liebe, so ernsthaft wie möglich

■ Zur Premiere des Films „Nachtgestalten“ sprachen der Regisseur Andreas Dresen sowie die SchauspielerInnen Meriam Abbas und Dominique Horwitz mit der taz

Gerade ist im Kino Sydney Lumets Remake des Klassikers von John Cassavetes „Gloria“ angelaufen. Doch seltsamerweise gelingt es Andreas Dresen in seinem Film „Nachtgestalten“ viel besser, diesem Vorbild gerecht zu werden. In einem Abschnitt seines Berlin-Episodenfilms zeigt er, wie ein spießiger, deutscher Angestellter auf dem Flughafen auf einen allein gelassenen schwarzafrikanischen Jungen trifft. Er wird den „Negerbengel“ nicht los, und im Lauf der Nacht entwickelt sich zwischen ihnen das gleiche Verhältnis wie zwischen Gena Rowlands und dem kleinen Latino Phil bei Cassavetes. Gerade weil Dresen die Geschichte auf ihre Essenz reduzierte (und weil Berlin bei ihm ähnlich dreckig erscheint und mit der Handkamera fotografiert wird wie das New York von Cassavetes), ist er dessen Geist viel näher gekommen als Sydney Lumet in seiner Hollywoodproduktion.

taz: Herr Dresen, ist „Nachtgestalten“ zum Teil auch ein Remake von „Gloria“ ?

Andreas Dresen: Ich halte „Gloria“ für einen wunderbaren Film, aber man kopiert ja nicht einfach so eine Geschichte. Es gibt stattdessen viele Einflüsse von Regisseuren, die man mag, und Filmen, die man toll findet. All das nimmt man in sich auf, und dann vermischt es sich mit dem, was man selber erlebt. Das gilt für Cassavetes genauso wie für die Filme des Neorealismus, Ken Loach oder Lars von Trier, die einen Erzählduktus haben, der mir gefällt.

Der Film erzählt drei Geschichten von verschiedenen Paaren. Wie ist es zu dieser Episodenform gekommen?

Dresen: Zuerst gab es zwei Kurzgeschichten, die beide ihren Ursprung in der Realität haben: die mit dem Vertreter und dem Kind und die mit dem Obdachlosenpaar. Und dann kam die Idee, von einer Nacht in Berlin zu erzählen, in der ganz verschiedene Dinge passieren, wobei aber alle Figuren von dem gleichen Ding getrieben werden, der gleichen Sehnsucht hinterherlaufen, die sie dann wieder vereint.

Die Obdachlose, die von Meriam Abbas gespielt wird, ist so kratzbürstig und selbstzerstörerisch, dass sie einem eigentlich zuwider sein müsste. Und dennoch rührt sie uns. Wie haben Sie das geschafft?

Meriam Abbas: Bei dieser Figur wäre es sehr gefährlich gewesen, mit irgendwelchen Schauspielertricks zu arbeiten. Die muss man stattdessen hundertprozentig verteidigen, und man muss ihr sehr viel von sich selber geben, sonst landet man schnell beim Klischee und der romantisierenden Sicht.

Wie können Sie beide so uneitel und scheinbar ohne das rettende Netz der Konventionen spielen?

Dominique Horwitz: Eitelkeit ist ja der Grund, warum man sich überhaupt diesen Beruf aussucht, und Dummheit ist es, seine Eitelkeit zu zeigen. Dafür ist man ja Profi. Bei diesem Film war es das Wichtigste für uns, dem Buch und den Szenen zu vertrauen und dann so ernsthaft wie möglich und mit aller Liebe zu spielen. Dann erkennt der Zuschauer sich selbst in den Beiden wieder, auch wenn er nicht auf der Straße lebt.

Herr Dresen, Sie kommen vom Dokumentarfilm, und das merkt man auch bei „Nachtgestalten“ sehr deutlich. Wie war Ihre Entwicklung zu diesem Spielfilm-Debüt?

Dresen: Ich wollte immer Spielfilme machen, aber als Filmstudent im Babelsberg der DDR musste man obligatorisch erstmal anderthalb Jahre Dokumentarfilm studieren. „Von der Beobachtung der Realität zu ihrer Gestaltung“ war da der Grundsatz, der mich immer noch sehr prägt. Ich gehe in „Nachtgestalten“ von realen Verhältnissen aus, erzähle sie als reine Fiktion, die ich aber immer wieder durch Recherchen auf ihren Realitätsgehalt hin untersuche.

Der Film kommt einem vor, wie aus der Hüfte mit der Handkamera geschossen, und dennoch war das Budget etwa so hoch wie bei einem „normalen“ Spielfilm. Ist der „Low-budget-look“ inzwischen teuer geworden?

Dresen: Wir hatten auch erst gedacht, solch ein dokumentaristischer Stil ließe sich mit weniger Aufwand realisieren, aber zum Teil war es so sogar teurer. Wenn man mit der Handkamera improvisiert, kann man nicht wie sonst beim Film nur einen kleinen Ausschnitt beleuchten und mit Komparsen bestücken, sondern man muss immer die ganzen 360 Grad ausstatten. Und bei dieser Methode verbraucht man auch viel mehr Filmmaterial. Sonst ist das Verhältnis Filmmeter auf der Leinwand zu gedrehtem Film etwa 1 zu 8, bei mir war es 1 zu 14, und bei Ken Loach ist es sogar 1 zu 49. Und ich weiß jetzt auch, warum! Fragen: Wilfried Hippen

„Nachtgestalten“ ist ab Donnerstag in der Schauburg und im CinemaxX zu sehen