Mit großen Lauschern im Dienst fürs Vaterland

■ Russlands neuer Premier Vladimir Putin ist Geheimdienstprofi. Den Machtapparat kennt er genau

Gerade Augenbrauen, eine keilförmige Nase, ein Mund wie ein Briefkastenschlitz, große Lauscher und ein fliehendes Kinn: So sieht Vladimir Putin aus, bisher Vorsitzender des nationalen Sicherheitsrates und des Geheimdienstes FSB (ehemals KGB). Putin, 47, verheiratet, Vater zweier Kinder, ist der Mann, den sich Präsident Boris Jelzin als neuesten in einer Reihe von vier neuen Premiers innerhalb eines Jahrs ausgesucht hat. Zudem erblickt der Präsident in ihm, wie er gestern in einer Ansprache an die Nation behauptete, „den“ Nachfolger. Offenbar braucht Jelzin gerade einen Scharfmacher. Insider behaupten, Jelzin halte Putin für einen „entschiedeneren“ Menschen, als den bisherigen Premier Stepaschin.

Putin ist populär unter den sogenannten Machtministern, die die diversen Armeen und Geheimdienste Russlands leiten. Zu seinen Unterstützern gehört auch der Chef der Vereinigten Elektrizitätswerke Russlands, Anatoli Tschubais. Wie Tschubais und der eben aus dem Ausland zurückgekehrte, unter Korruptions-Anklage stehende Sankt Petersburger Ex-Bürgermeister Anatolij Sobtschak gehört Putin zur sogenannten „Leningrader Gruppierung“.

Nachdem Putin bei Professor Sobtschak als Student Jura gehört hatte, legte er 1975 sein Examen ab und bewährte sich als junger Geheimdienstler und Spion in Deutschland. In den frühen 90er Jahren, in denen Anatoli Sobtschak als Sankt-Petersburger Bürgermeister den Höhepunkt seiner Karriere erreichte, diente Vladimir Putin ihm als eine Art Außenminister. Zustatten kamen ihm dabei seine Verbindungen zu großen deutschen Firmen. Putin gilt auch als einer der Gründer der Sankt Petersburger Börse.

Nach dieser halbkommerziellen Etappe ging es mit Putins politischer Karriere steil bergan. 1996–97 arbeitete er in Moskau als stellvertretender Chef der „Verwaltung für Angelegenheiten des Präsidenten“. Das ist jene Behörde, die alle russischen Politiker vom Dumaabgeordneten bis zum Ministerpräsidenten mit allem Notwendigen über die Datscha und den Dienstwagen bis hin zum Bleistift versorgt.

Seit März 1997 war er Chef der Hauptkontrollverwaltung der Administration des Präsidenten und stellvertretender Chef der Präsidenten-Administration.

Vor fast genau einem Jahr machte Jelzin Putin zum Chef des Geheimdienstes FSB. Seine Umgebung, sowohl die Moskauer, als auch die Sankt Petersburger, charakterisiert Putin als „Profi“, der sich sowohl in der Wirtschaft als auch in Fragen der russischen Nationalitäten gut auskennt. Jelzins Entschluss, diesen Mann auf diesen Posten zu ernennen wird allgemein mit seinem Wunsch erklärt, einen Nichtideologen in jener Behörde sitzen zu sehen, die noch bis vor kurzem von Altkommunisten und deren Weltanschauung dominiert wurde.

Dass er sich aber von denen nicht distanziert, bewies eines der ersten Interviews, die Putin in seiner neuen Eigenschaft im letzten Sommer der Tageszeitung Kommersant gab. „Ich habe große Erfahrung mit der Arbeit im KGB der UdSSR“, sagte er damals. Wenn das auch nicht das gleiche wie der jetzige Geheimdienst war. Das sind überhaupt völlig verschiedene Organisationen, die auf verschiedenen Prinzipien beruhen, obwohl sich ihre Aufgaben ähneln. Die Hauptaufgabe des KGB war die politische Arbeit, weshalb auch in jeder Siedlung eine mehr oder weniger starke Unterabteilung des KGB existierte, die ihre V-Leute in allen Schichten der Bevölkerung hatte. Damals war das gerechtfertigt, weil es zum stabilen Funktionieren der Gesellschaft beitrug. Gegenwärtig besteht keine Notwenigkeit dafür“.

Barbara Kerneck, Moskau