Nicht nur das Schlimmste verhindern

Das erste Handbuch für die Arbeit mit Kinderflüchtlingen ist erschienen  ■ Von Heike Dierbach

Amadou dachte, die Sachbearbeiterin hätte sich „einfach vertan“: Auf den Papieren, die ihm die Hamburger Ausländerbehörde ausgestellt hatte, war sein Alter anstatt mit 15 mit über 16 Jahren angegeben. „Als ich darauf hinwies, hieß es nur: egal“, erzählt der Jugendliche aus Sierra Leone. Als über 16-jähriger hätte er keinen Anspruch auf eine kindgerechte Unterbringung oder Betreuung und müsste seinen Asylantrag selbst stellen. Ein Beispiel dafür, „dass unsere Arbeit oft darin besteht, das Schlimmste zu verhindern“, erklärt Kay Seligmann, Sprecher des Bundesfachverbandes Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge.

Dennoch wollen die BetreuerInnen zeigen, „dass es nicht nur die Katastrophenmeldungen gibt“, ergänzt Karoline Korring von der Jugenhilfsorganisation Woge e.V. Beide stellten gestern das erste „Handbuch der Sozialen Arbeit mit Kinderflüchtlingen“ vor.

„In diesem sehr jungen Arbeitsbereich fehlten bisher die Grundlagen“, erklärt Korring die Idee des 676 Seiten dicken Buches, das von Woge und dem Münsteraner Institut für Soziale Arbeit herausgegeben wird. Knapp hundert AutorInnen aus dem ganzen Bundesgebiet – darunter die Berliner Professorin Birgit Rommelspacher oder Claudia Roth, ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament – liefern darin Informationen und Erfahrungen. Die Themenspanne reicht von den Verhältnissen in den Herkunftsländern über Aufnahmebedingungen, sozialpädagogische Konzepte und psychische Störungen bis zu gesellschaftlichen Barrieren.

Die verschiedenen Kapitel hat auch Amadou kennengelernt. Als er Ende April als blinder Passagier in Hamburg ankam und sich bei der Ausländerbehörde meldete, ließ diese ihn in Handschellen in eine Polizeizelle bringen. Warum, wusste er nicht: „Ich habe die ganze Zeit gebetet und geweint.“ Heute wohnt er in einer Jugendwohnung. Über seinen Asylantrag wurde noch nicht entschieden. Rund 2000 Kinderflüchtlinge gibt es in Hamburg, schätzt Korring. Durchschnittlich kommt einer pro Tag. Rund 1000 Plätze in der Jugendhilfe stehen für sie bereit.

„Wir können aufbauen auf den Potentialen, die die Kinder mitbringen“, weiß Korring, „Durchhaltevermögen, Improvisationstalent und Integrationsfähigkeit.“ Dem entgegen stünden die repressiven Bedingungen des Staates. Sie verwehren geflüchteten Kindern oft die Möglichkeit, eine gute Ausbildung zu absolvieren – „das heißt, sie verwehren den Start ins Leben“, kritisiert Seligmann.

Jimmy hat Glück gehabt – sein Asylantrag ist vorläufig anerkannt. Der jetzt 18-Jährige, der vor zwei Jahren nach Hamburg kam, besucht ein Gymnasium in Mümmelmannsberg. Eine Sache liegt dem Jugendlichen aus Sierra Leone besonders am Herzen: „Wenn man keine Chance bekommt, zu lernen oder zu arbeiten“, betonte er, „das ist der Grund, warum manche anfangen, mit Drogen zu dealen.“

Handbuch der Sozialen Arbeit mit Kinderflüchtlingen, Votum-Verlag, 68 Mark