Schlagloch
: Richard Wagner in Bayreuth. Loriot auch?

■ Von Kerstin Decker

Alle reden über Bayreuth. In diesem Jahr besonders heftig. Es geht um die Nachfolge Wolfgang Wagners (79) als Festspielleiter. Es gebe unter seiner Ägide, nun ja, eine gewisse Stagnation. Sie währt schon 48 Jahre. Die Ägide – vielleicht meine Frau?, überlegte einsichtiger Wolfgang Wagner, der Enkel. Oder meine Enkelin, also die Enkelin des Enkels, die Ururenkelin? – Da meldete sich die Urenkelin, Vertreterin einer offenkundig übergangenen Generation, und bemerkte eine, sagen wir, bedauernswerte Einseitigkeit in den Erwägungen ihres Onkels. Nike Wagner ist Wolfgang Wagners Nichte und Wieland Wagners Tochter. Wieland Wagner war Wolfgang Wagners Bruder. Aber bevor das zu kompliziert wird, kürzen wir die Nachfolgefrage hier mal ab: Ich bin für Loriot.

Es gibt auch gar keine andere Möglichkeit. Loriot ist der einzige, der Wagner wirklich konsequent gemacht hat: Den ganzen „Ring“ an einem Abend! Er bemühte sich zudem in didaktisch rühmenswerter Weise um die Gewinnung künftiger Generationen von Wagnerianern. Denn Loriots „Ring“ ist ja ein Einführungsvortrag. Einführungsvorträge zeichnen sich durch exemplarische Allgemeinverständlichkeit aus: „Die Täter im gewaltigsten Drama der Musikgeschichte sind eigentlich ganz nette Leute.“ Unterbrechen wir hier gleich mal, denn diese Feststellung ist wichtig. Nette Leute. Berufskritiker sehen das nämlich anders. Ungefähr so: Wotan ist Wagner ist Hitler. Dieser traurige, irgendwie doch ziemlich unkämpferische Gott, der sich von seinem eigenen Sohn Siegfried den Speer zerschlagen lässt: „Geh mir aus dem Weg, Alter!“ – Hitler? Nein, Loriots Analyse reicht da viel tiefer. Nette Leute. Wie wir alle, bevor wir anfangen, einen Bausparvertrag abzuschließen und unser Lebensglück auf ein Eigenheim zu stellen. Wie Wotan auf Walhall. Auf solch einfache Dinge kommen berufsmäßige Ideologiekritiker natürlich nicht.

Ideologiekritiker sind Menschen, die glauben, dass hinter jedem Ding etwas ganz anderes steckt, vornehmlich eine handfeste Gemeinheit. So wie hinterm Häuslebauer Wotan eben Hitler. Insofern wäre Loriot ein enormer Gewinn für die künftige Wagner-Deutung, und das ist ganz wichtig, denn der Streit um die Frage, ob es sich bei der Person Richard Wagners um den legitimen Nachfolger Christi oder den Vorläufer Hitlers handelt, ist gerade wieder neu entbrannt. Auf Schloss Elmau gab es eine Tagung über „Wagner im Dritten Reich“. Beide Thesen, hört man, konnten überzeugend nachgewiesen werden. Eine Stelle des FAZ-Berichts blieb im Gedächtnis: „Schon vor Jahren klopfte der Germanist Zelinsky seine provozierende These, dass Wagners Zivilisationskritik auf einen Vernichtungsantisemitismus hinauslaufe, mit einer überwältigenden Fülle von Detailkenntnissen fest“ (26. 7.). Ja, geht denn das? Ist es nicht ein Missverständnis unseres positivistisch geprägten Zeitalters, dass „Detailkenntnisse“ – „Fakten! Fakten! Fakten!“ – unmittelbar als Beweise gelten können? Denn „Beweise“ in geistigen Zusammenhängen sind immer Interpretationen. Was lernen wir aus folgenden harten Fakten: Wagner war Vegetarier. Hitler auch. Wagner hat mal eine Oper „Wieland der Schmid“ begonnen. Hitler auch. Das Unheil begann aber schon früher. Wilhelm II. ließ seine Autohupe auf ein Rheingold-Motiv stimmen. Doch verschweigen wir nicht die entlastenden Stimmen. Bundespräsident Walter Scheel näherte sich der Gesamtproblematik „Wagner und der Nationalsozialismus“ mit folgenden Überlegungen: „Aber was kann Wagner dafür, dass Hitler ihn mochte? Hitler liebte auch Berge und Schäferhunde. Aber das ist kein Einwand gegen Berge und Schäferhunde.“ Hier irrt der Altbundespräsident. Schäferhunde und Berge sind keine geistigen Tatsachen. Wagner schon. Gibt es einen Mittelweg des Gedankens zwischen dem Germanisten Zelinsky und Scheel? Überhaupt sind bis zum Amtsantritt Loriots noch einige Fragen zu klären, die sich unmittelbar aus der aktuellen deutschen Gemütslage ergeben. Es gehört zum guten Ton der Musikkritik, sobald sie Wagner betrifft, ihren Gegenstand zuvor gehörig zu ironisieren. Man zeigt, dass man weiß, mit wem man es zu tun hat. So empfiehlt es sich unbedingt, in eine Kritik über den „Parsifal“ die Wortgruppe „heute das Haus, morgen den Hügel und übermorgen die ganze Welt?“ einzufügen (SZ, 29. 7.). So was bedeutet Distanz. Distanz, hört man, braucht man bei Wagner. Distanz von Musik?

Aber Musik ist Überwältigung. Oder sie ist Begleitmusik. Daher wohl die – natürlich – etwas unbescheidene Äußerung Wagners, er könne sich nicht helfen, er höre noch bei Mozart immer das Klirren des Tafelsilbers. Der Aufstand gegen das Konventionelle, gegen die bloß überlieferte Form, macht den, der ihn wagt, nicht gerade demütig. Und wer das größte Musikdrama der Weltgeschichte komponiert, ohne Aussicht darauf, es jemals aufgeführt zu sehen (ohne die Begegnung mit Ludwig II. hätte es Wagners „Ring“ nie auf die Bühne geschafft), hat schlechte Voraussetzungen für eine mittlere Gemütslage. Es ist das ewige Dilemma des Künstlers. Wenn schon keiner sonst an ihr Werk glaubt, müssen sie das auch noch selbst tun. Stellvertretend für alle. Adorno brachte das mal auf die Formel, Beethoven wäre niemals Beethoven geworden, wenn er nicht schon immer gewusst hätte, dass er Beethoven sei. Ach, Beethoven. Den mochte Hitler auch. Der sei wohl noch wichtiger gewesen für den deutschen Faschismus als Wagner. Gegen Beethoven war Wagner nur das Ornament der Bewegung. So – laut FAZ – ein Musikologe auf der Elmauer Tagung.

Den Musiktheoretikern des Dritten Reichs war Wagner viel zu dekadent. Und richtig, ging nicht durch ihn – durch die Emanzipation der Dissonanz – der Weg hin zu Schönberg und zur neuen Musik? Aber das zählt nicht für die Ideologiekritiker. Kunst? Kunst ist immer Vorwand für etwas anderes, im Falle Wagners eben für Überwältigung. Das habe Hitler von Wagner gelernt. Es ist seltsam – und fast wagt man nicht, es auszusprechen –, dass die Unbefleckten im Geiste, die Moralisten, egal ob von links oder sehr weit rechts, allzeit der ästhetischen Sphäre ihren Eigenwert aberkennen. Nike Wagner, Urenkelin und Bewerberin um den Bayreuther Chefsessel, hat diesen Argwohn tief verinnerlicht. Ja, natürlich sei das ein Verschmelzungserlebnis, Geist, Körper, Sinne, alles nur auf die Kunst konzentriert. Und fügt gleichsam entschuldigend an: „Es muss nicht gleich Faschismus dahinter stecken.“ – Wohin treibt uns das? Ich habe mir Hitler bei Wagner ohnehin nie wirklich vorstellen können. In dieser Atmosphäre „sublimer Verderbtheit“ (Thomas Mann), einer letztlich durch und durch erotischen Musik. Denn im Grunde hat Wagner doch immer wieder den reinen Eros vertont, also etwas, was sich gar nicht vertonen lässt. Man kann nach solchen Überwältigungen wohl vieles machen, sich betrinken zum Beispiel, aber wohl kaum Hitler zuhören und in den Krieg ziehen. Zu viel Schopenhauer darin, zu viel Misstrauen gegen die allzu irdischen Triumphe.

Genau, wie wir es uns gedacht haben!, werden Zelinsky und die anderen jetzt sagen. Bedenkenlose Wagnerei! Also alles über die Krankheit Wagner, seinen Antisemitismus, den man gern den „gewöhnlichen“ des 19. Jahrhunderts nennt, in den übrigen drei Zeilen? Nein, dieses Thema ist eine eigene Betrachtung wert. Die nächste.

Den Musiktheoretikern des Dritten Reichs war Wagner viel zu dekadentNur Loriot hat Wagner wirklich konsequent gemacht: an einem Abend