Zwangsarbeiter ziehen vor Arbeitsgerichte

■ Zum zweiten Mal wurde eine direkte Entschädigungsklage ehemaliger Zwangsarbeiter zugelassen. Beschuldigte Continental legt vor Arbeitsgericht Hannover Beschwerde ein

Berlin (dpa/taz) – Das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover war am 5. August in aller Stille und gänzlich unbemerkt erfolgt. Der Knalleffekt kam erst fünf Tage später. Die niedersächsischen Arbeitsrichter hatten drei ehemaligen KZ-Häftlingen, Zwangsarbeitern der Continental AG, bescheinigt, bei dem Reifenhersteller kraft eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt gewesen zu sein – deshalb wurde ihre Klage auf Grund des Arbeitsrechts zugelassen. Die drei über 70jährigen, heute alle Bürger Israels, fordern von Continental Schadensersatz und Schmerzensgeld in der Höhe von 13.365 DM.

Die Entscheidung betritt nicht vollständiges Neuland, denn bereits im Mai 1999 hatte ein Nürnberger Arbeitsgericht angenommen, dass eine 75-jährige Ukrainerin als Zwangsarbeiterin bei einer Nürnberger Rüstungsfirma in einem Arbeitsverhältnis gestanden habe – das Gericht hatte eine entsprechende Klage zugelassen. Im Fall der Continental AG haben die Richter nun ein Arbeitsverhältnis trotz der KZ-Haft angenommen.

Bislang war in der Literatur und Rechtsprechung stets die Meinung vertreten worden, dass „ein Mindestmaß an Freiwilligkeit beim Abschluss eines entsprechenden Vertrages unterstellt werden muss“ (so zuletzt der Tübinger Anwalt Lutz Frauendorf in dem Werk „Entschädigung für NS-Zwangsarbeit“, herausgegeben von Barwig/Saathoff/Weyde, 1998). Zwangsrekrutierung wie Zuweisung an eine bestimmte Arbeitsstelle und Zwangsunterkunft schlössen einen solchen Arbeitsvertrag aus.

Autoren wie Frauendorf kamen zu dem Ergebnis, eine Haftung des Staates wegen unerlaubter Handlungen gegenüber den Zwangsarbeitern anzunehmen. Zu einem solchen Ergebnis war auch das Bonner Landgericht 1996 gelangt. Auf diesem Weg türmen sich allerdings für die ehemaligen Zwangsarbeiter nach wie vor juristische Hindernisse auf. Vor allem kann, wer ihn beschreitet, nur die Bundesrepublik, nicht aber einzelne Firmen verklagen.

Um zu seinem die bisherige Rechtsprechung und Lehre umwerfenden Ergebnis zu gelangen, ging die Kammer des hannoverschen Arbeitsgerichts in drei Schritten vor. Erstens statuierte sie, die neue historische Forschung lege nahe, von der Auffassung abzurücken, bei der Zwangsarbeit habe es sich lediglich um ein öffentlich-rechtliches Gewaltverhältnis gehandelt. Vielmehr habe zweitens der NS-Staat Wirtschaftsunternehmen Häftlinge vermietet. In diesen Verträgen sei es um Vernichtung durch Arbeit gegangen, arbeitsrechtliche Schutznormen seien ausdrücklich ausgeschlossen gewesen. Bei diesen Verträgen habe es sich deshalb drittens um einen „Rechtsform- und Gestaltungsmissbrauch“ gehandelt. Als Folge dieses Missbrauchs sei von einem wirksamen Arbeitsverhältnis zwischen den KZ-Häftlingen und der Continental auszugehen. Folge: die „Conti“ müsse sich als „funktionelle Arbeitgeberin“ behandeln lassen.

Peter Schwerdtmann, Sprecher der beklagten Firma, kündigte unverzügliche Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Hannover an. Der zuständige Richter, so Conti, wisse selbst, dass er mit der Zulassung der Klage die bisherige Rechtsprechung auf den Kopf gestellt habe. Christian Semler