Gute Lügen, schlechte Lügen

■ Nimm drei: Chabrols „Die Farbe der Lüge“ ist Liebesfilm, Whodunit und Tatort zugleich

Blau. Für Chabrol ist die Farbe der Lüge Blau. Das ist der einzige Faden, der den Zuschauer optisch durch dieses Labyrinth führt, in dem alle lügen. In einem kleinen bretonischen Dorf an der Küste wurde ein kleines Mädchen vergewaltigt und ermordet. Der Verdacht richtet sich gegen den Maler René, bei dem das Mädchen kurz vor seinem Tod noch Zeichenunterricht hatte. René ist von zwei Frauen umstellt: seiner Frau Viviane, die Sandrine Bonnaire mit großer Kühle spielt, und der Kommissarin Lesage. Die Kommissarin spielt Valeria Bruni-Tedeschi. Sie tut praktisch gar nichts. Stellt ein paar Fragen, zieht an ihrer Zigarette und blinzelt manchmal beim Sprechen. So gelingt ihr etwas völlig Unmögliches: Sie ist gleichzeitig geheimnisvoll und komisch. Die wunderbarste Gestalt in dem ganzen Film. Das ist gar nicht so einfach, denn natürlich spielen sie alle ganz wunderbar.

Der Mord ist die Ausgangssituation. Danach wird es kompliziert. Jeder verstrickt sich in Lügen. René, indem er schweigt. Viviane, die ein kurzes Techtelmechtel mit dem Fernsehstar Desmot hat, um ihre Ehe zu retten, lügt, um ihre Ehe zu retten. Die Kommissarin lügt, weil sie den Fall aufklären will – und muss dann einen blauen Pullover tragen. Selbst die Natur verstellt sich. Nie zeigt sie dasselbe Bild von sich, alles ist abhängig von Licht und Schatten.

Es gibt so viele Gründe zum Lügen, gute und egoistische, dass die ganze Bande schließlich in einem undurchschaubaren Netz zappelt. Einschließlich Chabrols. Manchmal scheint es, als hätte er drei Filme auf einmal gedreht: einen Film über die Liebe, der eigentlich mehr ein gefilmter Dialog ist; ein kompliziertes Whodunit, für das der Himmel über der Bretagne einen spektakulären Hintergrund abgibt; und schließlich einen prätentiösen Tatort über einen Kunstdieb und seine kostspielige junge Freundin.

Chabrol findet für die Lügen keine Bilder. Oder sie sind so diffizil wie das Trompe-l'Oeil, an dem sich der Fernsehstar Desmot stößt: Man sieht es gar nicht. Man sieht nur die Beule. Wir reiben uns den Kopf und warten einfach auf den nächsten Chabrol. see

„Die Farbe der Lüge“. Regie: Claude Chabrol. Mit Sandrine Bonnaire, Jacques Gamblin, Valeria Bruni-Tedeschi u. a. Frankreich 1998, 103 Min.