Polen sitzt in den USA auf der Anklagebank

■ Elf Juden klagen in New York gegen den polnischen Staat auf Entschädigung für einst enteigneten Besitz. In Chicago entscheidet ein Gericht heute über einen ähnlichen Fall

Warschau (taz) – Die Polen trauten ihren Augen nicht: „11 Juden klagen Polen an“, titelte die größte Tageszeitung Polens, die Gazeta Wyborcza, und druckte die Sammelklage aus New York ab. Die elf Kläger, heute Staatsbürger der USA und Großbritannien, fordern die Rückgabe ihres früheren Eigentums in Polen oder eine Entschädigung in Milliardenhöhe. Heute entscheidet ein Gericht in Chicago, wo ein ähnliches Verfahren gegen Polen anhängig ist, ob die Klagen gegen einen souveränen Staat überhaupt zulässig sind.

Die New Yorker Kläger beschuldigen Polen nicht nur der Kollaboration mit den Nazis.

Vielmehr werfen sie ihnen auch vor, den „Nazi-Plan vom judenreinen Land“ nach dem Krieg weiterverfolgt zu haben, um sich am Eigentum der Juden bereichern zu können. Sie hätten die zurückkehrenden Holocaust-Überlebenden aus dem Lande getrieben oder ermordet.

Die Republik Polen, so heißt es in der Klageschrift, verfolge diesen „mörderischen Plan von rassischen und ethnischen Säuberungen“ bis heute. Trotz wiederholter Proteste der ehemaligen Eigentümer verkaufe die Regierung weiterhin den Besitz der Holocaust-Überlebenden. Sie verstoße damit gegen das Völkerrecht.

Bislang ging die polnische Regierung davon aus, dass Polen als souveräner Staat Immunität genieße und die Klagen abgewiesen würden. Inzwischen aber sind die Gegenargumente des Rechtsanwalts aus Chicago bekannt geworden. Danach habe sich Polen unbeabsichtigt selbst seiner Immunität beraubt, als es 1960 einen Vertrag mit Amerika schloss. Darin hatte die kommunistische Regierung die Entschädigungsfrage für Amerikaner geregelt, deren Eigentum in Polen nach der Machtergreifung der Kommunisten verstaatlicht worden war. In den Entschädigungsfonds zahlte Polen 40 Millionen Dollar ein. Von den Klägern in New York und Chicago hat aber – bis auf einen – niemand einen Cent aus dem Fonds gesehen. Zum Zeitpunkt der Enteignung waren fast alle Kläger noch Staatsbürger Polens oder Deutschlands. Sie waren daher nicht berechtigt, Gelder aus dem Entschädigungsfonds zu beantragen.

Der Rechtsanwalt in Chicago, Eric Puchala, geht davon aus, dass Polen durch die Unterzeichnung des Vertrags von 1960 die amerikanische Gerichtsbarkeit in dieser Frage bereits anerkannt habe.

Adam Michnik, Chefredakteur der Gazeta Wyborcza, hat wie die Kläger einen Teil seiner Familie in den Vernichtungslagern der Nazis verloren. In seinem Kommentar „Lüge im Schatten der Shoa“ wirft er den New Yorker Klägern vor, das demokratische Polen mit Hitlerdeutschland gleichzusetzen. Die Enteignung habe in Polen alle gleichermaßen getroffen, unabhängig von Nationalität oder Religionszugehörigkeit.

Die Kläger aber missbrauchten das „Drama des Holocaust zu einem Gerichtsspiel ums große Geld“. Sie wollten das heutige Polen für die Verbrechen der Nazis und der Kommunisten bezahlen lassen. Die Klage sei ein „unschätzbares Geschenk für die Antisemiten in Polen“.

Auch Stanislaw Krajewski vom Verband der jüdischen Gemeinden in Polen, hält die Begründung der New Yorker Klage für „grotesk“. Dennoch könne man nicht bestreiten, dass die Klage einen reellen Hintergrund habe: die fehlende Reprivatisierung in Polen. Zehn Jahre nach der Wende ist sie noch immer nicht gesetzlich geregelt.

Krajewski warnt davor, im geplanten Gesetz nur die Enteignungen ab 1944 zu berücksichtigen. Dann nämlich gingen die meisten Juden tatsächlich leer aus, da ihr Eigentum zunächst von den Nazis „arisiert“ und 1946 vom polnischen Staat als „verlassenes deutsches Eigentum“ übernommen wurde. Sollte sich dieser Gesetzentwurf durchsetzen, wäre der Vorwurf der Kläger, der polnische Staat verhalte sich wie ein Komplize der Nazis, doch gerechtfertigt.

Kaum jemand in Polen bemerkte bislang, dass unter den Klägern auch ein ehemaliger deutscher Staatsbürger ist: Peter Koppenheim. Der heute 68jährige Brite verließ 1939 seine Geburtsstadt Breslau. Die Stadtvilla am Breslauer Ring wurde von den Nazis konfisziert. Der Vater starb im Ghetto.

Nach dem Krieg hatten die Koppenheims Angst, ins nunmehr polnische Wroclaw zurückzukehren, da in Kielce und anderen polnischen Städten heimkehrende Holocaust-Überlebende von Polen ermordet wurden. 1991 protestierte Koppenheim bei der polnischen Regierung gegen den Verkauf des Familienbesitzes. Vergeblich. Er fordert nun eine Entschädigung in Höhe von mehreren Millionen Dollar.

Sein Fall wird – sollte das Gericht die Klage annehmen – noch für Aufsehen sorgen. Nach polnischer Rechtsauffassung wurden die Koppenheims „rechtmäßig“ enteignet. Sie waren „deutsche Staatsbürger“. Gabriele Lesser

Die Kläger missbrauchen den Holocaust zu einem Gerichtsspiel ums große Geld. Die Klage ist ein unschätzbares Geschenk für die Antisemiten in Polen