Ich hatte keine Brille

■ Gestern, 12.40 Uhr, in einem U-Bahn-Schacht, Berlin Mitte: Die Sonnenfinsternis versäumt. Und das war furchtbar schön

Es war genau 12.40 Uhr, als gestern der Boden zu beben begann. Ein mächtiges Rattern setzte ein. Kein Vöglein war zu sehen. Es schien ewig zu dauern. In Wahrheit waren es natürlich nur einige Augenblicke.

Nein. Ich habe nichts versäumt. Und das hat nichts damit zu tun, dass Berlin nicht in der Zone lag und es wegen Tief Oleg dann eh wenig zu sehen gab.

Ich hatte sowieso keine Brille. Nicht, weil der Kapitalismus furchtbar versagt hatte. Sondern weil ich keine wollte.

„Du bist ja blöd“, sagte eine aufgeregte Frau, als ich fünf vor halb eins in ein Restaurant reinrannte. Wieso blöd? Clever. Alle standen vor dem Fernseher. Oder auf der Straße. Dabei war es ungemütlich und kühl. Und im Lokal ausnahmsweise angenehm. So presto, presto wie gestern wurde dort bestimmt noch nie ein Mensch bedient. Das ist nun wirklich ein Erlebnis, das ein Leben lang unvergesslich bleiben wird.

Es war also richtig, wegzusehen. Auch wenn sich die Agenturen am Nachmittag stundenlang überschlugen.

Oder? Ein Test-Anruf in die Zone. Was geschah wirklich? „Es war seltsam.“ Warum seltsam? „Weil man es nicht begreift.“ Was nicht begreift? „Warum keine Fliegen mehr flogen, wo es doch so viele Fliegen hat.“ Was man spürte? „Wie es kalt wurde, richtig dunkel.“ Fazit? „Unheimlich.“

Aha: Die Nummer vom Naturereignis, das den entfremdeten Menschen doch noch einmal mit der Natur verschmilzt und ihm vor Augen führt, dasses Fürchterliches gibt? Wo die Grenzen des Homo Faber liegen? (Jedenfalls nicht in der naturwissenschaftlichen Erforschung einer totalen Sonnenfinsternis).

Natürlich hatten auch die angeblichen Naturalisten in der Südzone den Fernseher laufen. Warum? Bestimmt aus Angst, etwas zu verpassen. Cornwall. Rumänien. Oder ein anderes „Pop-Spektakel“ (“Die Welt“). Zum Beispiel, dass Beckenbauer sich Matthäus (38) als Trauzeuge angeboten hat. Oder Naddel. Oder ein anderes Pffftzt (Pffftzt ist Platzhalter für Fußballspiel bis „Wetten, dass ...?“), auf das man tagelang hinleben kann. Immerhin: Solange es eine Sonnenfinsternis gab, brauchte sich Dieter Bohlen wenigstens nicht von Hunden das Gesicht zerfleischen zu lassen.

Zugegeben: Matthäus (der Ältere), Neuss, Twain, Hubert Kah (“Wenn der Mond die Sonne berührt“) und Stifter sahen hin und nahmen alles ziemlich wichtig. Aber was hatte ein Stifter auch sonst an Zerstreuung? Keine drei Programme.

Ich habe nichts verpasst. Morgen wird eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Und 2001 ist schon wieder Sonnenfinsternis. In Afrika. Und 2017 in den USA. Könnte man vielleicht in Las Vegas in einem Kasino verpassen. Man darf das nicht zu provinziell sehen.

Auf den Straßen standen die Menschen und horchten, den Blick angestrengt in den Himmel gerichtet. Aber ich stand mit voller Absicht in diesem U-Bahn-Schacht. Um genau 12.40 Uhr setzte ein mächtiges Rattern ein. Kein Vöglein war zu sehen. Dann kam das Kärtchen unten aus der Waage raus. Mist: 73,5 Kilo.

Nein. Ich habe nichts versäumt. Gar nichts. Außer natürlich mit dem Coke-Trinken vorsichtiger zu sein.

Peter Unfried

Papst Johannes Paul II. hat die Sonnenfinsternis vom Hubschrauber aus beobachtet. Erst nach der Landung setzte er eine Schutzbrille auf! Zuvor hatte er seine Generalaudienz verkürzt.

Während der Sonnenfinsternis hat sich gestern ein Paar in einem Belgrader Standesamt das Jawort gegeben. Die Trauung erfolgte mit Sonnenschutzbrillen, meldete ein Lokalsender.

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