Tausche Kostedde gegen Hrubesch

■ Heute beginnt die Fußball-Bundesliga mit der 37. Saison: Sammler von Klebebildern begeben sich wieder auf der Jagd – wie sie das schon seit mehr als 20 Jahren tun

Der Weg in den Keller hatte sich gelohnt. Pizza und Bier waren der Beweggrund gewesen, aber schnell wieder vergessen. Ein weitaus sättigenderes Thema erhielt schon bald die gesamte Aufmerksamkeit: Das alte Panini-Sammelalbum aus der Spielzeit 82/83 – völlig aus dem Gedächtnis geblättert – hatte beharrlich in einer verstaubten Kiste gewartet. 306 selbstklebende Bilder mit Gesichtern einer Schar zumeist fröhlich, aber auch verwirrt dreinblickender Bundesliga-Fußballer lösten endgültig die Vorstart-Erregung auf die heute beginnende Bundesliga-Saison aus.

Und nicht nur das: Im Angesicht eines Erwin Kostedde (SV Werder Bremen), Hans-Peter Briegel (1. FC Kaiserslautern) oder Rüdiger Abramczik (Borussia Dortmund) wurde einem blitzartig bewusst, was sich in 17 Jahren Profi-Fußball alles verändert hat: nämlich alles – selbst Lothar Matthäus. Der kickte damals mit 21 Lenzen und Nackenmatte bei Borussia Mönchengladbach. Erst ein Blick in das kostbare Album klärt auf, dass der Franke bis heute sogar um einen Zentimeter – nun 1 Meter 74 – gewachsen ist und um drei Kilogramm an Gewicht zugenommen hat. Panini belegt: ein Zentimeter Matthäus wiegt drei Kilo.

Und obendrein ist der Lothar – wen wundert–s – der einzige Spieler aus dem gesamten Album, der heute immer noch gegen den Ball tritt, während die Schuhe eines Rudi Wimmer, Wolfgang Kleff und Rigobert Gruber schon längst am Nagel hängen.

Die alten Sammler-Erinnerungen nahmen wieder deutlichere Konturen an: Vor jeder neuen Saison – auch in diesen Tagen vollzieht sich dieses Ritual – waren viele Hobby-Kicker stetig auf der Jagd nach den Konterfeis der begehrten Helden. Die zumeist jugendlichen Fans schoben Unmengen an Taschengeld über die Theken diverser Kioske und Tabakläden – immer in der Hoffnung, einen noch in der Sammlung fehlenden Kopf oder gar Mannschaftsbild zu ergattern.

Die ersten erstandenen Papiertütchen mit sechs Bildern zu 40 Pfennig versprachen einen verheißungsvollen Auftakt. Nach einem Monat verflog der Reiz des Neuen dann jedoch: Über 200 „Doppelte“ häuften sich in alten Schuhkartons, Lothar Huber (BVB) und das Antlitz von Horst Hrubesch (Hamburger SV) tauchten sogar inflationär häufig in dem immer weiter anschwellenden Berg auf.

Die Vorgehensweise der Sammelfreudigen hatte komischerweise schon damals die grotesken Züge der heutigen Fußball-Branche: „Tausche Burgsmüller gegen Rahn oder die gesamte Elf von Bayer Leverkusen gegen den HSV.“ Die Hanseaten waren in der Saison 82/83 übrigens noch der nordische Widersacher der Münchener Bayern und landeten mit dem Gewinn des Europapokals der Landesmeister den letzten großen Coup auf internationaler Bühne. Seinerzeit grinsten mit Hrubesch, Magath und Kaltz sogar drei Nationalspieler für die Panini-Objektive.

Beim Hamburger SV hat sich allerdings Grundlegendes geändert: Nicht nur, dass derzeit kein Akteur aus dem aktuellen Kader für Deutschland die Knochen hinhalten darf, auch aus dem ungeliebten Betonoval namens Volksparkstadion wurde eine 55.000 Plätze bietende Fußball-Arena geschustert. Dass der Verschleiß an ehrenamtlichen Präsidenten zugenommen und der Hamburger SV nach dem Rücktritt von Rolf Mares nun zu Saisonbeginn ganz ohne ein Oberhaupt dasteht, ist ebenso Innovation pur. Es fehlt nur noch ein 5:0-Auftaktsieg am Sonnabend im Münchener Olympiastadion und der HSV wäre endgültig reformiert. „Die Hamburger sind ein ernstzunehmender Gegner“, ließ jedenfalls FCB-Coach Ottmar Hitzfeld schon einmal vorsorglich vermelden. Das jedoch wohl eher aus Schutz vor der eigenen Schwäche, denn aus Respekt vor den gezeigten Leistungen des HSV im UI-Cup (Anstoß: Sa. 15.30 Uhr).

Der FC St. Pauli eröffnet bereits heute um 19 Uhr am Millerntor gegen die Spielvereinigung Greuther Fürth die Zweitliga-Saison. Das reicht jedoch noch lange nicht, um von den italienischen Gebrüdern Panini in ihrem Millionen-Unternehmen berücksichtigt zu werden. Erst mit dem Erstliga-Aufstieg, wie anno 1988 geschehen, würden Paulianer Ballathleten auch Einzug in die Phalanx der Hochglanz-Abziehbilder halten. Volker Ippig, Rüdiger „Sonny“ Wenzel und Klaus Ottens machten bereits gute Miene zum immer kostspieligeren Klebespaß – eine Packung enthält mittlerweile nur noch fünf Kicker-Visagen und kostet nunmehr 80 Pfennig. Das Aufreißen der Tütchen geschieht daher immer vorsichtiger. Mehr Spaß macht es allerdings nicht. Oliver Lück

Oliver Lück