Über die Vorzüge des Nichtstuns    ■ Von Wiglaf Droste

Am schönsten ist, wenn nichts ist. Nichts zu tun, nichts zu reden, kein Geräusch, nichts. Nichts ist selten. Nichts ist fast nie. Irgendetwas ist immer. Oder irgendeiner. Der muss Pipi, hat Durst oder fragt: „Kann ich ein Eis? Ist es noch wei-heit?“ Wenn er Ruhe gibt, ist es wieder still. Beinahe wäre nichts. Aber das nächste Irgendetwas ist immer schon unterwegs.

„Haaalllooo!“ Ah – jemand quengelt. Man soll sich um ihn kümmern. Kümmern und lieb haben! Ein verständlicher Wunsch. Schade nur, dass man jetzt etwas tun muss. Aber gut: Erkaufen wir uns ein bisschen Ruhe und Frieden. Vielleicht kann man dem Nichts auch auf Umwegen näher kommen. Über den Umweg Tee und Gebäck? Tee? Wirklich Tee? Tee ist ein gutes Getränk, aber Teetrinker sind seltsam. Einmal betrat ich ein Bekleidungsgeschäft, das auf Leinen spezialisiert ist. Mit Leinen ist es wie mit Tee: Der Stoff an sich ist gut, hat aber viele falsche Freunde. Kaum hatte ich den Laden betreten, eilte mir der Besitzer entgegen. Er trug eine sackartige Pluderhose aus Leinen und eine Weste aus demselben Material. Sonst trug er nichts. Der Mann, der seine Produkte weit weniger günstig bewarb, als er wahrscheinlich dachte, lächelte unterwürfig und fragte: „Willsten Tee?“

Also keinen Tee. Aber Gebäck. Gebäck ist gut. Wer isst, spricht nicht. Backen wir also Gebäck! Wenn man schon etwas tun muss, ist backen gut. Überhaupt kochen – sehr meditativ. Gurke putzen zum Beispiel ist eine astreine Sache. Aber – man soll sich nichts vormachen: Es ist nicht nichts. Sondern eine Tätigkeit. Eine Aktivität. Aktivität ist ein grauenhaftes Wort. Es klingt nach gehobener Freizeit für Leute, die nicht still sitzen und nichts tun können, und die deshalb Sportarten ausüben, die auf ing enden müssen: Freeclimbing, Canooing, Jogging, Biking, Piercing, Canyoning. Ab und zu enden diese Sportarten nicht nur auf ing, sondern mit dem Exitus. Manche bringen sogar den Tod auf den Hund.

Ähnlich gemein klingt das Wort Aktivität im Zusammenhang mit aufgepeitschten Seniorengruppen, die busladungsweise durch die Welt gekarrt werden, weil es keine alten Leute mehr gibt, nur noch Senioren. Alten Leuten haftet das Stigma des Passiven an – Senioren aber sind aktiv! Und zwar permanent.

Sollte ich alt werden, werde ich es vorziehen, zu den Alten zu zählen statt zu den Senioren. Jedenfalls werde ich schön passiv sein. Passivität ist ein erfreuliches Wort – für Pädagogen, Psychologen und gefechtsmäßig ausgerüstete Freizeitaktionisten hat es einen bösen Klang. Auch das ist gut. Vielleicht werde ich sogar das tun, was für Aktivitätsfanatiker das Verbotenste überhaupt zu sein scheint: einfach nur dasitzen und auf den Tod warten. Mir erscheint das ziemlich klug. Nahezu jede menschliche Beschäftigung zieht mehr Unheil nach sich, als dazusitzen und auf den Tod zu warten. Was also ist so zum Schluchzen daran?

Einstweilen aber sitze ich noch hier herum und übe mich im Nichts. Träge fließt der Strom durchs Bild, hin und wieder treibt die Leiche eines Feindes vorbei. Man muß gar nichts dazu tun, nicht zielen, nicht schießen. Sie machen sich alle hübsch selber fertig. Ich bin sicher, es hat mit Mangel an Nichtstun zu tun.