Normalzeit
: Private Dancer

■ Von Helmut Höge

„Relaunching“ – das ist quasi Selbstverschlankung à la „Du darfst!“ Gerade hat sich Die Zeit in Teilen von Hamburg nach Berlin relaunched, und Sigrid Löffler soll schon wieder abgelöst werden – von Elke Schmitter. Die Wochenpost hat sich weggelauncht, und in der Berliner Zeitung folgte noch auf jedes Re- ein Delaunching. Im Tagesspiegel wurde darum bei Redaktionsschluss noch gekämpft. Zumal auch Süddeutsche und FAZ derzeit für ihre Berlin-Redaktionen kräftig personelle Anleihen bei der taz machen.

Auf das neoliberale Ullstein-Relaunching vor einiger Zeit folgt dort nun ein Münchner Delaunching. Der neue Chef musste – ähnlich wie beim Stern – wieder gehen, und der ganze Verlag zieht nach München um, unter das Dach von Econ-Chef Strasser. Sat. 1 zieht dagegen demnächst einen Großteil seiner dezentralisierten Redaktionen im neuen Edelgebäude in Mitte zusammen. Andere Hauptstadt-Medienrepräsentanzen akquirieren heftig Hilfskräfte auf dem hiesigen Arbeitsmarkt.

Auf diesem low paid Hightech-Level sieht Walter Momper bereits die wesentliche Berliner Arbeitsplatzdynamik der nächsten Jahre: Weil die rund 12.000 Pendler zwischen Bonn und Berlin alle gar nicht abgefertigt werden können in Tegel, so meint er, wird man in den hierher verlegten Behörden und Lobby-Verbänden mehr und mehr dazu übergehen müssen, sich auf dem hiesigen Arbeitsmarkt zu bedienen. Zusätzlich soll das Tohuwabohu auch noch eine Million Touristen mehr als jetzt anlocken, 1998 hauten diese bereits 7,7 Milliarden Mark auf den Kopf. Wobei sie vor allem die Dienstleistung „Nachtleben“ in der Stadt anzogen.

Vor einigen Jahren musste ich einmal an einem Freitagabend Dorothee vom Bahnhof Zoo abholen. Sie hatte fünf Tage lang in einer Hamburger Redaktion gearbeitet. Als ich auf den Bahnsteig trat, stand ich plötzlich in einer Reihe von fast 100 Männern, die alle ganz genauso aussahen wie ich – und auch genauso auf ihre Freundin warteten, die überqualifiziert gerade bei einem „Hamburger Medium“ jobbte. Dieser Bahnsteig-Trend dreht sich nun langsam um: Es sind die Männer, die jetzt zum Aufmischen der dortigen Seniorenklüngel Hamburg-Honorare einstreichen, während ihre Freundinnen wieder Arbeitslosengeld erhalten und dabei gelockert auf die verantwortungsvolleren Posten hier warten, die im „Öffentlichkeitsbereich“ entstehen.

Wer das für allzu exaltiert hält, dem sei – in Mitte – eine Firma empfohlen, die sich spezialisiert hatte: auf die Imageberatung für Arbeitslose! Das war ihr aber noch lange nicht luhmännisch und megameta genug: Jetzt werden dort auch noch Imageberater für Arbeitslose ausgebildet! Und als nächstes bietet diese Firma Kurse an, in denen man lernt, erfolgreich Firmen zu gründen, die eine Arbeitslosen-Imageberater-Ausbildung anbieten. Denkbar wäre dann nur noch eine Karriere als Verbandspräsidentin – aller Arbeitslosen-Imageberater-Ausbildungs-Unternehmen Deutschlands. Es handelt sich bei dieser Cleverle in Mitte nämlich um eine Frau. Eigentlich ist dieses Arbeitsplatz-Hin-und-Her Jacke wie Hose.

Die Situation auf dem Bahnsteig des Bahnhofs Zoo ändert sich dadurch jedenfalls nicht wesentlich! Und im Osten, im Bahnhof Lichtenberg, gibt es auch nichts Neues: Auf den Gängen fertige, besoffene Männer, auf dem Bahnsteig – am Freitag abend – lauter nüchterne Frauen auf dem Weg nach Hause. Sie steigen in den bonbonfarbenen Interregio nach Dessau, Wolfen, Bitterfeld ein. In den Abteilen holen sie sofort ihre Papiere raus, blättern in Akten, Führerscheinunterlagen oder Gesetzestexten. Im Mitropa-Abteil unterhalten sich die rauchenden älteren, ebenso vollschlanken wie dauergewellten Geschäftsführerinnen von Beschäftigungsgesellschaften und -initiativen. In der ersten Klasse sitzen dagegen ausschließlich dünne und kurzhaarige junge Privatkarrierefrauen, die immer mal wieder eilig an das Kartentelefon gehen, um ihre Ankunft anzukündigen oder Verabredungen zu verschieben.